Wie
weh würde Deutschland ein solcher Angriff auf die Offshore-Anlagen
tun? Welchen Schaden könnte solch ein Angriff ausrichten, abgesehen
vom wirtschaftlichen Schaden? Wie groß wäre die Einbuße an
Stromerzeugungskapazitäten? In 2015 wäre die Einbuße noch minimal.
Zurzeit befinden sich fast alle Offshore-Anlagen im Bau oder in der
Planung. Einer der wenigen bereits fertig gestellten Windparks „BARD
Offshore 1“ erzeugt unter Volllast eine Leistung von 400 MW. Zum
Vergleich: Die leistungsstärksten, noch betriebenen, deutschen
Atomkraftwerke Isar 2 und Brokdorf erzeugen jeweils rund 1400 MW. Die
aber rund um die Uhr.
Offshore-Windpark Kapazitäten, Quelle: Offshore-Stiftung |
Ein Windrad kann nicht Strom erzeugen, wenn zu viel oder wenn zu wenig Wind weht. Dennoch sind die Stunden, die ein Windrad unter Volllast arbeiten kann auf hoher See weitaus höher als für Windräder an Land. Derzeit liegt die Zahl der Volllaststunden für Offshore-Windräder bei rund 4000 Stunden pro Jahr.
Stellen
wir eine Rechnung an. Sind die Windparks fertiggestellt, soll in der
deutschen Nordsee 3500 MW Leistung erzeugt werden können. Wie groß
ist der zukünftige Anteil der Offshore-Windenergie in der Nordsee an
der zukünftigen Gesamtstromerzeugung in Deutschland? Dieser Anteil
wäre gute Zahl, um das sicherheitspolitische Risiko der Offshore
Windenergie zu bewerten. Wird der Anteil hoch sein, wird auch das
Risiko hoch sein. Denn wie festgestellt, wird es recht einfach sein,
die Anlagen anzugreifen.
Die
Energiewende wird vorangetrieben. Jede nutzbare Fläche der deutschen
Außenwirtschaftszone in der Nordsee soll bebaut werden. Die
angepeilte Gesamtleistung der Offshore-Windparks in der Nordsee soll
rund 3500 MW betragen, oder 3,5 GW. Würde durch koordinierte
Angriffe auf die Knotenpunkte der Windparks die gesamte Leistung
ausfallen, welche Einbuße an Stromerzeugungskapazitäten muss
Deutschland dann bewältigen?
Kaum Auswirkungen, selbst bei Totalausfall
Wir
wollen die Rechnung überschlagsartig anstellen und vor allem
unabhängig von der Diskussion, ob die Energiewende praktisch bis
2050 durchzusetzen ist – unter der Annahme also, dass alle
gravierenden technischen und ökonomischen Schwierigkeiten bewältigt
werden. Die Bundesregierung veranschlagt für 2008 einen
Stromverbrauch von 25% unter dem Niveau von 2008. 2008 „verbauchte“ Deutschland ca. 617 Mrd. kWh,
2050 soll es folglich 463 Mrd. kWh benötigen. 463 Mrd. kWh müssen
also 2050 auch mindestens erzeugt werden, um den „Verbrauch“ zu
decken.
Rechnen
wir nun aus, wie viel die ausgebauten Windparks mindestens erzeugen
werden. Sind alle Parks errichtet und angeschlossen, sollen sie unter
Volllast 3500 MW erzeugen. Bei 4000 Stunden Volllastbetrieb im Jahr
macht das 14 Mrd. kWh. Nehmen wir zusätzlich noch an, dass die
restlichen Stunden im Jahr durchschnittlich die Hälfte davon erzeugt
werden kann, aufgrund von schwächerem oder zu starkem Wind. Nehmen
wir also noch 7 Mrd. kWh hinzu. Nach dieser konservativen
Überschlagsrechnung könnten die errichteten Windparks rund 21 Mrd.
kWh im Jahr erzeugen.
Windrad, Quelle: Siemens |
Nehmen
wir die Zahlen zusammen: Der anvisierte Stromverbrauch 2050 sei 463
Mrd. kWh. 21 Mrd. kWh könnten durch alle geplanten Windräder in der
deutschen Außenwirtschaftszone erzeugt werden. Die
Offshore-Windkraftanlagen werden nach dieser hier angestellten
Rechnung also rund 5% des deutschen Stromverbrauchs decken. 5% sieht
nicht sonderlich dramatisch aus.
Einen
Ausfall von 5% der deutschen Energieversorgung bei Totalausfall der
Offshore-Windenergie dürfte Deutschland im Konfliktfall verkraften
können. Sicherlich, der Ausfall von einem Stromerzeugungsäquivalent
von zweieinhalb Kernkraftwerken wird etwas unangenehm sein, doch ist
es nichts, was die Stromversorgung Deutschlands in die Knie zwingen
würde.
Eine
Attacke auf die Offshore-Windkraftanlagen wird sicherheitspolitisch
nicht dramatisch sein. Der höchstmöglich anzunehmende Beitrag des
Offshore-Windstroms zur Stromversorgung Deutschlands 2050 wird bei 5%
liegen. Ein Ausfall dieser 5% wird zu verkraften sein. Der Ausfall
von diesen 5% der Stromerzeugung muss im Konfliktfall auch verkraftet
werden: ein wirksamer Schutz ist wegen des völkerrechtlich
garantierten Rechts auf friedliche Durchfahrt auch nicht zu leisten.
Sicherheitspolitisch
werden Offshore-Anlagen nach dieser Rechnung kaum eine Rolle spielen,
weil sie energiepolitisch kaum eine Rolle spielen werden.
Voraussichtlich werden die Anlagen zukünftig nur der
Berufsschifffahrt, den Seglern, den Piloten und den Umweltschützern
und dem Arbeitsschutz viel geben: Und zwar Anlass zum Ärger.
Eine modifizierte Rechnung – und doch ein großes Risiko?
Die
Bundesregierung aber nimmt an, dass im Jahr 2050 Offshore-Windräder
25% der Stromerzeugung erbringen werden.
Diese Annahme kann nur stimmen, wenn ein gewisser technologische
Fortschritt vorausgesehen wird: Erstens müsste die Zahl der
Volllaststunden stark steigen. Zweitens müsste der Wirkungsgrad der
aufgestellten Räder stark erhöht werden. Sollte das tatsächlich
passieren, steht Deutschland dann doch ein großes strategisches
Risiko ins Haus. In ungefähr 35 Jahren könnten dann, wenn der Plan
der Bundesegierung erfüllt wird, ein Viertel der deutschen
Stromerzeugung auf hoher See stehen. Exponiert, ungeschützt,
militärisch leicht und billig störbar.
Sind die
Offshore-Windparks nun aus sicherheitspolitischer Sicht ein großes
Risiko für Deutschland? Es wird stark davon abhängen, wie sich die
Windkraft-Technologie entwickelt. Die Steigerung des Wirkungsgrads
der Windräder gilt es zu beobachten.
Tim Bergmann studiert im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit Schwerpunkt auf Sicherheitspolitik. Zuvor studierte er Politikwissenschaft und Geschichte in Dresden.
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