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Montag, 29. Dezember 2014

DEUTSCHE FLAGGE FÜHRT VOR DEUTSCHE GERICHTE – Probleme mit der Jurisdiktion über somalische Piraten





Einer der in Hamburg verurteilten Somalier begleitet durch die niederländische Marine [Quelle: Ministerie van Defensie]
Im Oktober 2012 schlug die Verurteilung von zehn somalischen Piraten durch das Landgericht Hamburg nach mehr als 100 Verhandlungstagen hohe Wellen. Nach einem unerwartet zähen Verfahren verhängte das Gericht Haftstrafen zwischen sieben und zwei Jahren über die Männer, die im April 2010 das  Containerschiff „Taipan“ und seine 15 köpfige Besatzung überfallen hatten. "Wir maßen uns hier an, Recht zu sprechen nach unseren deutschen Vorstellungen über Menschen, deren Lebenssituation wir nicht mal annähernd nachvollziehen können", erklärte einer der beteiligten Strafverteidiger. Dennoch verurteilte im April 2014 auch das Landgericht Osnabrück einen 44 Jährigen wegen Beteiligung an der Entführung eines Chemietankers im Mai 2010. Die deutsche Justiz scheint sich also keineswegs mit der Logik einverstanden zu erklären, dass vor dem Hintergrund des failed-state Somalia im Golf von Aden effektive Straffreiheit für brutale Übergriffe auf deutsche Handelsschiffe herrscht. 
Trotz allem spricht vieles gegen die Verhandlung von Pirateriefällen, die sich in mehr als 5.000 km Entfernung ereignet haben, vor deutschen Gerichten. Deutschland ist nicht zuletzt auch deswegen zurückhaltend bei der Annahme der Verfahren, weil es die Einreise somalischer Krimineller ansonsten streng zu verhindern sucht. Dass man sich mit diesem Bemühen in bester Gesellschaft befindet, macht auch der Vorschlag des UN-Sonderberichterstatters Jack Lang deutlich, der für die schnellstmögliche „Somalisierung“ der Strafverfolgung plädiert. Nötig seien Investitionen in das somalische Rechtssystem zur Errichtung von drei spezialisierten Gerichten in Somaliland, Puntland und in Arusha sowie in drei Gefängnissen. Investitionen, die angesichts des desolaten Zustandes des Staates nicht zu Unrecht als riskant beurteilt werden. Die militärische Absicherung des Gebiets, unter anderem durch die EU-Operation ATALANTA, scheint zumindest kurzfristig wirkungsvoller zu sein. So gab es in diesem Jahr nur drei Piratenangriffe in der Region. 
 
Die Frage danach, wie mit aufgegriffenen Verdächtigen zu verfahren ist, kann militärisch allerdings nicht beantwortet werden. Solange Somalia die entsprechenden Strukturen fehlen, verlassen die EU und ihre Mitgliedsstaaten sich deswegen auf bilaterale Abmachungen und Auslieferungsabkommen mit Kenia, Mauritius und den Seychellen. Rückführungsabkommen wurden außerdem auch mit Somaliland und Puntland geschlossen. Durch diese könnten verurteilte Piraten theoretisch nach Somalia rückgeführt werden. Dem dürfte jedoch regelmäßig ein Anspruch auf Asyl nach Haftverbüßung entgegenstehen.
Dass jedoch auch die Auslieferung an afrikanische Staaten im Rahmen eines Rechtshilfeabkommens keineswegs unproblematisch ist, macht eine Entscheidung des OVG NRW in Münster deutlich. Die Übergabe eines somalischen Verdächtigen an die kenianische Justiz sei demnach unter anderem menschenrechtswidrig gewesen. Zwar habe Kenia in einem inoffiziellen Brief die menschenwürdige Inhaftierung zugesichert. Aufgrund verschiedener Botschaftsberichte hätte jedoch trotzdem klar sein müssen, dass der Gefangene in Kenia unter den typischen Haftbedingungen, die von katastrophalen hygienischen Verhältnissen sowie schlechter Wasser- und Nahrungsversorgung geprägt waren, zu leiden haben würde. Die Übernahme der deutschen Jurisdiktion durch Kenia – ein „Freundschaftsdienst“, den Kenia sich unter anderem auch von den USA und Großbritannien gut bezahlen lässt – dürften die Richter dadurch wohl vorerst beendet haben. 

Nichtsdestoweniger muss zur Lösung des Piraterieproblems eine effektive Strafverfolgung gewehrleistet werden. Das regelmäßige Abhalten von Verfahren nach dem Vorbild des Hamburgs Landgerichts, welches nicht weniger als 20 Verteidiger, 3 Dolmetscher, 2 Schöffen, 3 Richter und 2 Staatsanwälte im Wert von insgesamt mehr als einer Millionen Euro beschäftigte, kann dabei wohl kaum zielführend sein. Schließlich dürften die Wahrnehmung und somit auch die Abschreckungswirkung solcher Verfahren in der betreffenden Region entsprechend gering sein. Die Lösung kann deshalb nur in der „Somalisierung“ der Strafverfolgung liegen. Die 25 Vorschläge von Lang liefert hierfür einen ersten Entwurf, der sich mit geschätzten Kosten von weniger als 25 Millionen US-Dollar sogar als relativ günstig erweisen würde.
Das Problem der organisierten Kriminalität, über die insbesondere Hintermänner in Staaten wie Großbritannien und Kanada maßgeblich an der somalischen Piraterie beteiligt sind, dürfte damit jedoch kaum zu lösen sein. Hier stellt sich hoch entwickelten Rechtssystemen eine Aufgabe, in welche ihre Kapazitäten möglicherweise effektiver investiert wären.


Simone Ludewig ist Studentin im Fach "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Theorien des Internationalen Rechts und Themen des europäischen Menschenrechtsschutzes.

Montag, 1. Dezember 2014

Sonntag, 23. November 2014

Mission Erfüllt? "ATALANTA" und das Volvo Ocean Race




Sichere Seewege für freien Warenverkehr. Ein politisches Ziel aller erster Kajüte. Photo: Rick Tomlinson / Team SCA

Der Deutsche Bundestag hat im Mai diesen Jahres die Deutsche Beteiligung an der EUNAVFOR Mission „ATALANTA“ um ein weiteres Jahr bis Mai 2015 verlängert. Zwar ist diese Nachricht nicht neu, dennoch gibt es einen konkreten Anlass, sich mit dem Status, der Wirksamkeit und der Relevanz der Mission auseinander zu setzen.

Das Volvo Ocean Race ist eine der hochkarätigsten Veranstaltungen im professionellen (Segel)Sport. Auch wenn missbräuchlicher Umgang mit Superlativen häufig in eine Umkehrung des eigentlich anvisierten kommunikativen Akts resultiert, ist die Verwendung des Wortes "hochkarätig" an dieser Stelle durchaus angebracht: Sieben international besetzte Teams, finanziert durch transnational agierende Großkonzerne mit Budgets im zweistelligen Millionenbereich liefern sich einen neumonatigen Sprint um die Welt, mit den Ozeanen als ihre Rennstrecke. Die Crews werden während des Rennens eine Strecke von über 39.000 Seemeilen [über 72.000 KM] bewältigen, mit Etappenzielen in elf Staaten auf vier Kontinenten. Das Volvo Ocean Race ist damit in gewisser Weise die segelsportliche Manifestation einer globalisierten Welt.

Leichte Beute für Piraten 


Am vergangenen Donnerstag, dem 19.11.2014, ist die zweite Etappe des Volvo Ocean Race gestartet worden. Sie führt die Yachten von Kapstadt am Kap der Guten Hoffnung vorbei nach Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate. Die Teams segeln damit durch exakt diejenigen Gewässer, in denen die EUNAVFOR Operation "ATALANTA" der internationalen Handelsschifffahrt sicheres Geleit ermöglicht. Und sie müssen die Straße von Hormus passieren, die auf Grund des immensen Warenvolumens als besonders  gefährdeter, sog. "Choke Point" gilt. Käme hier die Schifffahrt zum Erliegen, wäre die gesamte Weltwirtschaft empfindlich getroffen. 
Es ist nach dem Rennen 2011/2012 das zweite Mal, dass die Rennleitung des Volvo Ocean Race diese gefährliche Route gewählt hat und ein klares Indiz für den Einfluss der VAE, die zudem das gleichnamige Team „Abu Dhabi Ocean Racing“ ins Rennen geschickt haben. Eine Großveranstaltung wie das Volvo Ocean Race kann auch auf solche Mittel heute nur schwer verzichten. Es gilt den Return on Investment für potentielle Sponsoren vor dem Hintergrund des Wirtschaftsstandortes Abu Dhabi zu vergrößern. Denn: trotz Spitzensport und vermeintlicher Seefahrer-Romantik ist das Volvo Ocean Race in erster Linie eine komerziell betriebene Sportveranstaltung. Namensgeber Volvo hat zur Realisierung der aktuellen Auflage tief in die Tasche greifen müssen. Alleine die Vorfinanzierung von sieben Baugleichen 65-Fuß Kohlefaser-Rennyachten, auf welchen das Rennen ausgetragen wird, dürfte den Konzern zwischen 15 und 20 Millionen Euro gekostet haben.

Gesteigerte Fallhöhe


Mit größerem monetären Einsatz steigt bekanntlich nicht nur das Gesamtrisiko, sondern auch die Fallhöhe derjenigen, die entsprechende Entscheidungen zu verantworten haben. Denn: Eine Rennyacht mit überlebensgroßer Werbung für einen internationalen Großkonzern ist für Piraten eine verlockende und leichte Beute, insbesondere in schwachwindigen Seegebieten wie vor Somalia. Es ist vor diesem Hintergrund mehr als beachtlich, dass sich Knut Frostad, CEO Volvo Ocean Race, dazu entschlossen hat, die Etappe von Kaptstadt nach Abu Dhabi durchsegeln zu lassen. Noch während der vergangenen Auflage 2011/2012 hatte Frostad eine andere Entscheidung treffen müssen
Die Teams verschwanden kurz nach dem Start buchstäblich von der Bildfläche und segelten durch eine sog. "Stealth Zone" zu einem entlegenen, sicheren Sammelpunkt, wo die Yachten auf einen Frachter geladen, und durch die Straße von Hormus gebracht wurden, bevor die Etappe fortgesetzt werden konnte. Nur die Rennleitung war über Details der Operation informiert. Diese archaisch anmutende Maßnahme schien 2011 im Angesicht der Lage vor und um Somalia angemessen, wie das nachfolgende Video eindrucksvoll unter Beweis stellt:




Im aktuellen Rennen wird auf Sicherheitsmaßnahmen dieser Art verzichtet. Ein weiterer Indikator dafür, dass die erhöhte Militärpräsenz der europäischen maritimen Einsatzkräfte im Seegebiet vor und um Somalia Wirkung zeigt. Denn: Angesichts des finanziellen Volumens des Volvo Ocean Races steht und fällt die mögliche Rendite der individuell getätigten Investitionen mit dem Erfolg des Rennens. Ein Übergriff durch Piraten auf eines der Teams hätte verheerende Folgen, nicht nur für die unmittelbar betroffenen Segler und Sponsoren, sondern auch für das Gesamtkonzept „Volvo Ocean Race“. 
Was für das Rennen gilt, gilt auch für die Weltwirtschaft: Die Gewährleistung sicherer Handelswege durch nationale und internationale Gewässer ist essentiell für den Fortbestand des globalen Wirtschaftssystems, wie es auch im kürzlich erschienenen Jahresbericht des deutschen Marinekommandos heißt. 

Lehren für die Zukunft


Das Volvo Ocean Race darf diesbezüglich als "Parabel" betrachtet werden, stellt es in seinem Kern doch den Geist einer wettkampforientierten, vollends globalisierten Welt dar, deren Wohlstand auf Handel beruht und von sicheren Seewegen abhängig ist. Auch wenn die Ursprünge für Piraterie – Ungleichverteilung zwischen Nord und Süd, Armut, Perspektivlosigkeit und mangelnde Bildung – noch lange nicht besiegt sind, ist es doch bemerkenswert, dass zumindest was das Seegebiet vor und um Somalia betrifft, angewandte politische Machtmittel innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes deutlich Wirkung zeigen. Ein Erfolg, der bei zukünftigen politisch geführten Außen- und Sicherheitspolitischen Debatten unbedingt zu berücksichtigen ist. Das wäre zumindest nicht nur wünschenswert, sondern im Geiste einer aufgeklärten Öffentlichkeit zwingend erforderlich. 


Bendix Hügelmann, B.A., ist Student im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, sowie Mitarbeiter am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Seine Studien- und Forschungsschwerpunkte bilden  politische Ökonomie, Globalisierungs- und Nachhaltigkeitsstudien sowie Seerecht und Maritime Sicherheit.