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Freitag, 2. Januar 2015

Räume für Titanen aus Stahl - Offshore-Förderplattformen als Ursachen für Konflikte

Sie wiegen Zehntausende und kosten Milliarden. Offshore Bohrinseln sind Städte, die nicht auf dem Territorium eines Landes stehen. Auf ihnen leben Menschen und von ihnen leben Menschen. Seit sechzig Jahren bringen sie für unsere Zivilisation Öl und Gas – Energie. Bild: Oilguru
 Riesen aus Stahl. Beine, so dick wie ein Haus und so lang wie die höchsten Wolkenkratzer. Ein Körper, durchzogen von Rohren und Kabeln mit nur einem Zweck: Öl aus Tiefen zu fördern, die einen Menschen schon hundertfach zerquetscht hätten, bevor er zu ihnen gelangt wäre: Offshore Bohrinseln. Es sind Titanen, die unsere Zivilisation tragen, indem sie uns mit Öl, Gas und bald auch Metallen versorgen. Und die neusten Titanen kosten Hundertsechzigtausend Dollar – jeden Tag.
Hunderte Menschen leben auf ihnen: Handwerker, Ingenieure, Köche und die, die die Wäsche machen für die Handwerker, Ingenieure und Köche. Es sind kleine Städte auf dem Meer. Und das Meer ist ein lebensbedrohlicher Ort. Seit Menschen Offshore nach Öl und Gas bohren, fürchten sie Stürme und technische Fehler. Doch nach und nach gewinnt der Mensch mit neuer Technik den Kampf gegen die Kräfte der Natur. Heute sind Offshore Plattformen vor den Naturgewalten weitesgehend sicher und die Natur muss ihrerseits Fehler der Betreiber ausbaden. 2010 führte ein Defekt an der Plattform Deepwater Horizon zur größten Ölverschmutzung derGeschichte.
Für den Bürger an Land war die Deepwater Horizon Katastrophe auch die letzte und einzige Geschichte, die er über Offshore-Förderanlagen mitbekommen hat. Die Plattformen waren schon länger sturmfest geworden, es gab nichts anderes von Besonderheit im regelmäßigen Geschäft auf hoher See, bis 2010 die Katastrophe kam.
Der Kampf gegen die See ist weitesgehend gewonnen. Aber der Kampf um die See und um die besten Plätze für die Offshore Plattformen hat begonnen. Im Frühjahr letzten Jahres sendete China zwei seiner schlagkräftigsten Kriegsschiffe, die Kunlunshan und die Jinggangshan in das Südchinesische Meer, vor die vietnamesische Küste. Sie sollten eine Ölplattform schützen, die China dort platzieren wollte.  An Weihnachten gab Israel bekannt, dass es vier Fregatten anschaffen will, die eingesetzt werden sollen, um Israels Offshore Plattformen im Mittelmeer zu schützen. Zu diesem Zweck patrouillieren seit 2012 große Teile der israelischen Marine dort. Kanada baut entgegen aller Klischees über seinen friedliebenden Nationalcharakter eine Marine auf, die in der Arktis kanadische Ansprüche vor alle gegen Russland verteidigen soll, das seinerseits Teile seines Militärs in die nördlichsten Bereiche seines Landes verlegt.
Das zeigt: Industrialisierte Staaten sehen den bewaffneten Kampf um Ressourcen auf hoher See als realistische Zukunft und wollen darauf vorbereitet sein. Längst sehen sie nicht mehr nur Terroristen als Gefahr für die maritime Sicherheit, sondern andere Staaten. Israel fürchtet Angriffe der Marinen seiner Nachbarstaaten auf seine Energieversorgung. China will seine Ansprüche gegen alle anderen asiatischen Staaten durchsetzen: Japan im Osten und Vietnam, Korea, Malaysia, die Philippinen aber auch Indonesien im Süden. Die berühmt-berüchtigte Neun-Punkte-Linie Chinas überlagert sich hier mit den Anspruchszonen, die durch das UN-Seerechtsabkommen von 1982 festgelegt worden waren. Noch ist der Arktische Rat offiziell optimistisch, dass sie die Arktis friedlich aufteilen können.
Auf dem ganzen Erdball führt die Knappheit der Rohstoffe dazu, dass die Staaten auf hohe See schauen, um die Versorgung ihrer Zivilisation mit Wärme, Transportmitteln und allerlei elektronischen Gerätschaften sicherzustellen. Ein Blick auf den Globus und eine Linien, die man zweihundert Meilen von jeder Landmasse zieht, zeigen die Sphären der Wirtschaftsinteressen der Küstenstaaten. Jede kleine Insel löst eine zweihundert Meilen Zone aus. In diese Zone mindestens können die Staaten ihre staatliche Souveränität ausweiten wollen.
"The whole issue of 'economic waters' actually triples the size of Israel, but also creates strategic threats not only concerning the rigs and those working there, but also a threat to Israel's energy supply," said a senior naval officer. "A possible strike against the rigs is a nightmare scenario." Zitat: Haaretz 9. Jan. 2012; Bild: Rigzone.com
Das 21. Jahrhundert wird mit wirtschaftlicher Prosperität einhergehend erleben, wie Staaten ihre Territorial verankerte Souveränität auf Bereiche der hohen See übertragen wollen. Kann das Völkerrecht Schritt halten?
Die Gründe für Konflikte verstärken sich. Bald ist es nicht nur Öl und Gas, das Offshore gefördert wird: auch Metalle verbergen sich in den Tiefen der Meere - und alle wollen ein Stück vom Kuchen. Aber gleichzeitig verstärken sich auch die Gründe für eine friedliche Belegung der Konflikte: So eine Offshore Plattform mit all der dazugehörigen Infrastruktur wird Milliarden von Dollar kosten. Zusätzlich kommt der durch die gewonnenen Rohstoffe riskierte Nutzen für die Volkswirtschaft. Wenn alle Staaten solche Plattformen besitzen, sollten sie sich gegenseitig nicht die Risikokosten erhöhen wollen. Logisch wäre daher eine friedliche Einigung zum Nutzen aller Beteiligter. Aber irrationales Verhalten kann diese Rechnung immer stören. Und ein Staat, der keine Offshore Plattformen hat, hat auch nichts zu verlieren, und alles zu gewinnen, wenn er die Arterie der Wirtschaft seines Gegners auf hoher See kappen kann.
Die Konflikte auf hoher See werden zunehmen, während die Staaten ihre Interessensphären gegeneinander abzugrenzen versuchen. Es bleibt die Frage zu untersuchen, ob die Vermehrung der Offshore Anlagen als Katalysator für die Entwicklung des Völkerrechts dienen kann. Milliarden-Dollar Investments und die Versorgungssicherheit der Weltwirtschaft sollte als Interesse Vorrang haben vor nationalistischen Kurzsichtigkeiten und so den Frieden auf See bewahren.
Tim Bergmann studiert im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit Schwerpunkt auf Sicherheitspolitik. Zuvor studierte er Politikwissenschaft und Geschichte in Dresden.

Dienstag, 30. Dezember 2014

Weihnachten 2004 - Der Tsunami vom 26. Dezember und seine Folgen

Es war zwischen 9 und 10 Uhr morgens am zweiten Weihnachtstag 2004, also vor ziemlich genau 10 Jahren, als sich das Wasser hunderte Meter vom Strand der im Norden Sumatras gelegenen Provinz Aceh zurückzog. Die Bilder des kurz darauf folgenden Tsunamis, der insgesamt vermutlich bis zu 280.000 Menschenleben forderte und weitaus mehr Menschen zu Obdachlosen werden ließ, gingen damals wie kürzlich zum 10. Jahrestag um die Welt.
Dieses Unglück verdeutlichte nicht nur die Notwendigkeit eines Frühwarnsystems zum Schutz der Menschen vor solchen Naturkatastrophen in derart gefährdeten Regionen. Es war auch ein Beispiel für etwas, das leider allzu oft unter den Teppich gekehrt wird: die humanitären Hilfsleistungen der Bundeswehr.

Tsunamis – ein physikalisches Phänomen mit Tücke

Das Epizentrum des Seebebens vom 26. Dezember 2004...
(Quelle: The University of Sydney)
Tsunamis (japanisch, zusammengesetzt aus den Worten „große Welle“ und „Hafen“) sind Riesenwellen, die aus vertikalen Bewegungen des Meeresbodens, etwa Seebeben, Hangrutschen oder auch vulkanischen Eruptionen, resultieren. Die zum Teil bis zu 30 Meter hohen Wellen türmen sich allerdings erst in flacher werdenden Küstengewässern auf, was sie für die Küstenbewohner besonders gefährlich macht. Ist eine solche Riesenwelle in Sichtweite, bleibt den Menschen nur wenig Zeit zu reagieren. Auf hoher See sind die sich mit bis zu 800 km/h (die Geschwindigkeit ist unter anderem abhängig von der Wassertiefe) fortbewegenden Tsunamis kaum bemerkbar. Bereits der japanische Name für dieses Phänomen deutet darauf hin, dass es vor allem im pazifischen Raum vorkommt.

... und der Wirkungsbereich des darauf folgenden Tsunamis.
(Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe)
Das Seebeben, welches dem Tsunami vom 26. Dezember 2004 vorausging, war eines der schwersten bisher gemessenen. Die sich vom Epizentrum konzentrisch ausbreitenden und mitunter bis zu 200 km langen Wellen erreichten die Küsten von Indien, Thailand, Malaysia, Indonesien, Sri Lanka, der Malediven sowie Somalias und Kenias.






Die Möglichkeiten eines Frühwarnsystems

Mit dem Indischen Ozean war 2004 eine Region betroffen, in der es, im Gegensatz zum pazifischen Raum, bis dato noch keine Frühwarnsysteme zur Tsunami-Erkennung gab. Während Forscher am anderen Ende der Welt, nämlich im Tsunami-Frühwarnzentrum von Hawaii (PTWC), dank ihrer Instrumente bereits acht Minuten nach dem Seebeben über die drohende Gefahr Bescheid wussten, war ein Großteil der Menschen in den konkret bedrohten Gebieten bis zuletzt ahnungslos. 
Aufgrund nicht vorhandener Informationsketten, des Fehlens einer Übersicht über die jeweiligen Ansprechpartner sowie unklarer Abläufe im Ernstfall versickerten die wahrscheinlich lebensrettenden Informationen aus Hawaii irgendwo im Nirgendwo.

Als Konsequenz der Katastrophe von 2004 wurde im indonesischen Jakarta mit deutscher Hilfe ein Tsunami-Frühwarnzentrum aufgebaut, das heute mithilfe eines Bojen-Systems im Indischen Ozean die Daten sämtlicher Erdbeben in der Region aufzeichnet und gegebenenfalls eine Tsunami-Warnung herausgibt. Diese soll dann spätestens 10-15 Minuten nach der ersten Aufzeichnung eines Bebens via Fernsehen und Rundfunk sowie durch Imame von den Minaretten der Moscheen verbreitet werden. In der Theorie sollen sich die Menschen dann auf neu errichtete Schutztürme oder in höher gelegene Regionen flüchten. 

Funktionsweise des 2005/06 errichteten Frühwarnsystems "GITEWS".
(Quelle: Deutsches Geoforschungszentrum

Am 26. Dezember 2004 dauerte es knapp eine halbe Stunde bis die erste Welle die Küste der Region Aceh erreichte. Nach heutigem Stand hätten die Menschen also knapp 15 Minuten gehabt, um sich in Sicherheit zu bringen.

Die Bundeswehr im humanitären Hilfseinsatz

Bereits zwei Tage nach der Katastrophe begann die Bundeswehr aktiv mit der humanitären Hilfe. Ein Airbus A310 MedEvac flog in den ersten Tagen nahezu pausenlos verletzte Touristen zurück nach Deutschland und versorgte sie bereits in der Luft medizinisch.
Ab dem 06. Januar 2005 begann der Aufbau des mobilen Rettungszentrums des Sanitätsdienstes in der Region Aceh, das nur wenige Tage später seine Arbeit aufnehmen konnte. Die größte Gefahr drohte zu dem Zeitpunkt durch den Ausbruch einer Seuche oder einer Epidemie, wie beispielsweise Malaria. Schließlich waren die überfluteten Gebiete eine hervorragende Brutstätte für Mücken, welche die Krankheit übertragen können.

Am 13. Januar traf schließlich der Einsatzgruppenversorger (EGV) „Berlin“, der bereits am 30. Dezember 2004 aus der Operation „Enduring Freedom“ vor dem Horn von Afrika herausgelöst wurde, vor Aceh ein. Das Schiff hatte ein „Marineeinsatzrettungszentrum“ (MERZ) an Bord, in dem auch kompliziertere Operationen sowie genauere medizinische Analysen vorgenommen werden können.

Der EGV "Berlin" mit den Containern des MERZ (direkt unterhalb der Brücke) an Bord.
(Quelle: Wikipedia)

Insgesamt hat die Bundeswehr in ihrem bis Mitte März 2005 andauernden und bis dato größten humanitären Hilfseinsatz nicht nur dabei geholfen das General Hospital in der Provinzhauptstadt Banda Aceh wieder aufzubauen, sondern auch 2311 Menschen behandelt, 854 Patienten stationär aufgenommen, 196 Operationen durchgeführt, 3429 Malaria-Impfungen und 89 MedEvac-Flüge vorgenommen sowie Geräte und Medikamente im Wert von 2,7 Millionen Euro aus ihren Beständen an die indonesischen Behörden übergeben.

Dass die Bundeswehr eben nicht nur in bewaffneten Konflikten, sondern auch für derartige humanitäre Hilfsmissionen eingesetzt wird und in diesem Bereich einen wichtigen Beitrag leistet, gerät leider immer wieder schnell in Vergessenheit.



Moritz Müller ist Student im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Schwerpunkte sind Außen- und (maritime) Sicherheitspolitik sowie völkerrechtliche Themen.

Montag, 29. Dezember 2014

Autobahn im Vorgarten


Umfassender Ansatz oder Minimalkonsens? Quelle: http://www.imo.org/MediaCentre/HotTopics/polar/Pages/default.aspx


Im November 2014 hat die International Maritime Organisation (IMO) den "Code for Ships Operating in Polar Waters", den sog. Polar Code veröffentlicht. Die IMO reagiert damit auf den stetigen Rückgang des arktischen Packeises und der damit einhergehenden Öffnung der nordpolaren Seewege. Eine Bestandsaufnahme.


Der Polar Code ist das Ergebnis eines langjährigen Prozesses zur Regulierung maritimer Fragen in polaren Bereichen. Ziel des IMO-Prozesses ist es, verbindliche Richtlinien für die maritime wirtschaftliche Nutzung der durch den Klimawandel freigelegten Seegebiete aufzustellen. Normativ trägt die IMO damit zur kontinuierlichen Fortentwicklung des Seerechts bei, indem sie aktuellen Fragen und Herausforderungen mit völkerrechtlichen Konzepten begegnet. Doch wie steht es um die tatsächliche Wirkungskraft des Polar-Codes? Und was bedeutet die Öffnung der Nordrouten für Handel und Sicherheit auf See?

Wasserstraßen durch das Packeis

Die rechtliche Grundlage für ein Abkommen wie den Polar Code bildet die United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS). Hinter dem 1994 in Kraft getretenen Vertragswerk verbirgt sich das, was gemeinhin als internationales Seerecht bezeichnet wird. 162 Staaten haben das Abkommen bisher unterzeichnet; bisweilen der Ratifizierung ablehnend gegenüberstehende Staaten, wie etwa die USA, erkennen die in UNCLOS verankerten Grundsätze als Völkergewohnheitsrecht an. UNCLOS steht somit als Rechtsgrundlage für die Regulierung eines globalen Gemeinguts in einem direkten Zusammenhang mit den Belangen der Polregionen. Artikel 234 UNCLOS gibt den Vertragsstaaten dazu folgenden Anreiz zur regionalen Kooperation: 

„Coastal states have the right to adopt and enforce non-discriminatory laws and regulations for the prevention reduction and control of marine pollution from vessels in ice-covered areas within the limits of the exclusive economic zone..."

Die Öffnung der nördlichen Routen ist mit enormen wirtschaftlichen Interessen verbunden. Nicht nur, dass unter dem Packeis des Nordpols große Ressourcenvorkommen vermutet werden, vielmehr könnten die Seewege des Nordpolarmeeres neue, kürzere Routen für den internationalen Handel erschließen, welche signifikante Zeit- und Kostenvorteile mit sich bringen würden. Nachfolgende Grafik verdeutlicht skizzenhaft den Vorteil einer nördlichen Passage gegenüber herkömmlichen Handelswegen.

Die nördlichen Routen im Vergleich zu herkömmlichen Seewegen. Quelle: http://www.imo.org/MediaCentre/HotTopics/polar/Documents/Arctic2014/4.%20Dr.%20H.%20Deggim.pdf

Klimawandel als Herausforderung für das Seerecht

Die Erschließung dieser neuen Seewege ist jedoch nicht unproblematisch: Es bedarf erheblicher technischer Modifikationen der Handelsschiffe, um Packeisgebiete auch unter schwierigsten Bedingungen sicher befahren zu können.  Der Polar Code soll diesbezüglich verbindliche Vorgaben machen, mit dem Ziel einheitliche Sicherheits- und Baustandards zu formulieren. 
Kritische Stimmen, wie sie etwa durch den international agierenden Naturschutzbund „Seas at Risk“ artikuliert werden, bemängeln, dass der Polar Code zu geringe Umweltstandards aufweist. Der besonderen Sensibilität der Region werde somit kaum Rechnung getragen. In einem Kommuniqué vom 21. November 2014 heißt es: 

„While the new code is a positive step forward- for the first time there will be mandatory rules for management of shipping in Arctic and Antarctic polar waters – it is insufficient to properly protect Polar environments from the increased levels of shipping activity that are anticipated as sea ice recedes in the face of global warming.“  

So würde laut "Seas at Risk" der Polar Code unter anderem kein Nutzungsverbot von Heavy Fuel Oil (HFO), also fossilem Schweröl zur Verwendung als Treibstoff beinhalten. Eine Heavy Fuel-Ölpest hätte verheerende Folgen für das fragile Gleichgewicht des polaren Ökosystems. 
Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die IMO von einem HFO-Verbot im Polar Code absieht, zumal sich ein ähnlicher Mechanismus in einem IMO-Zusatzprotokoll zum Internationalen Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL) findet.

Capacity Building als weiterführender Ansatz

Um die Frage nach der Wirkungskraft des Polar Codes beantworten zu können ist grundsätzlich festzuhalten, dass gemäß des Prinzips der freiwilligen Selbstbindung von Vertragsparteien auf völkerrechtlicher Basis der Polar Code den Charakter eines Minimalkonsenses aufweist. Die relevanten Vertragsparteien haben zunächst den Willen bekundet, sich einer gemeinsamen Problemstellung anzunehmen. Ein Minimalkonsens ist auf völkerrechtlicher Basis also häufig besser als nichts. Ein solcher Konsens kann durchaus ein Fundament für weiterführende (Rechts)Standards bilden, vorausgesetzt, die Vertragsparteien sehen ein gemeinsames Ziel zu ihrem eigenen Nutzen dass zu erreichen durch fortlaufende Interaktion bestrebt wird. 
Es bleibt folglich abzuwarten, wie die internationale Schifffahrt in Zukunft auf die Öffnung der Nordrouten reagiert, und welche Rolle dabei der Polar Code einnehmen wird. Auch wenn gemäß "Artics-Database"  bereits heute ein Anstieg der Passagen des Nordpolarmeeres zu verzeichnen ist, bleibt dennoch abzuwarten, in wie weit sich das Polareis zukünftig weiter zurückbilden wird, um eine nachhaltige Schifffahrt dauerhaft zu ermöglichen. Einrichtungen, wie das norwegische "Centre for High North Logistics" können diesbezüglich jedoch als Indikator dafür verstanden werden, dass für die relevanten Akteure und Anrainer die Ob-Frage bereits hinfällig ist.

Bald dauerhaft Eisfrei? Quelle: http://www.arctic-lio.com/nsr_ice


Bendix Hügelmann, B.A., ist Student im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, sowie Mitarbeiter am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Seine Studien- und Forschungsschwerpunkte bilden  politische Ökonomie, Globalisierungs- und Nachhaltigkeitsstudien sowie Seerecht und Maritime Sicherheit. 

Sonntag, 21. Dezember 2014

Deutsche Marinetradition - Ein tückisches Gewässer


In manchen Bereichen der Sicherheitspolitik ist der rote Faden einer Strategie bisweilen etwas schwammig formuliert. Maritime Sicherheit ist ein Bereich, in dem es hilfreich sein kann, das Bild des roten Fadens dadurch zu schärfen, indem man einen Blick auf die Marinetradition wirft. Interessant ist, welche historischen Aspekte in den Vordergrund gestellt werden und wie man sie pflegt. Denn häufig bedingt das, was man hat, das was man im Bereich der maritimen Sicherheit tut (bzw. leisten kann). Traditionen bestimmen die Rolle, in der sich eine nationale Marine sieht und beeinflusst so auch die Richtung technischer Entwicklungen, die wiederum in der Zukunft Auswirkungen auf das mögliche Einsatzspektrum haben kann.

Ikone britischer Seemacht: 
Restaurierte HMS „Victory“
(Bildquelle: wikimedia.org)
Für die traditionsreiche britische Marine etwa gehört hierzu sicherlich das Herausstellen bedeutender Siege und ihrer Helden, wie etwa Admiral Lord Nelson und die Seeschlacht von Trafalgar oder der Entdecker, Weltumsegler und Freibeuter Sir Francis Drake. Die Pflege dieser Tradition zeigt auch den eigenen maritimen Anspruch: Wahrung globaler Seemacht und weltweite Sicherung maritimer Interessen. Auch wenn das Vereinigte Königreich immer größere Schwierigkeiten hat, diesen Anspruch finanzieren zu können, leistet man sich nach wie vor ein beeindruckendes Arsenal, zu dem u.a. Flugzeugträger und Atom-Uboote gehören.
Traditionspflege seit 1797:
USS „Constitution“
(Bildquelle: wikimedia.org)
Auch die einzig wirkliche globale Marine, die US Navy, pflegt in diesem Sinne ihre Traditionen, wenn sie auch nicht so weit zurück reichen wie die des britischen Empires. Dazu gehören die Auseinandersetzungen mit der britischen Krone, insbesondere im Krieg von 1812, aber ebenso die Seeschlachten des zweiten Weltkrieges, vor allem das Drama um den japanischen Angriff auf Pearl Harbour 1941. Auch hier geht es um den globalen Anspruch, die eigene Heimat, aber auch die Interessen der USA und ihrer Verbündeten zu schützen, was aus amerikanischer Sicht präventive oder gar offensive Aktionen rechtfertigen könne.

Die Deutsche Marine tut sich mit ihrer Traditionspflege deutlich schwerer. Das liegt zum einen an der kurzen uneingeschränkt „deutschen“ Marinegeschichte – wurde Deutschland doch erst mit der Gründung des Kaiserreiches 1871 zu einem Staat in unserem heutigen Verständnis. Zum anderen können sich die deutschen Seestreitkräfte zur Traditionspflege meist nur auf zweifelhafte militärische Erfolge aus zwei Weltkriegen berufen, zumindest wenn man den herkömmlichen Traditionsansätzen folgt. Dies kann aber allein schon angesichts der vielen Opfer weder dem deutschen Staat, noch der Deutschen Marine zur Ehre gereichen. Die Versuche, dennoch eine Traditionslinie aufzubauen, wirken deshalb eher unbeholfen und sind wenig überzeugend. So wird etwa die deutsche Reichs-Flotte von 1848 zur Traditionsbildung herangezogen, obwohl sie nur sehr kurz Bestand hatte, kaum Erfolge vorweisen konnte und (rechtlich) nie wirklich die Flotte eines deutschen Gesamt-Staates war.
Auch die Benennung dreier deutscher Lenkwaffenzerstörer in den 1960er Jahren nach „Kriegshelden“ des zweiten Weltkrieges (Rommel, Lütjens, Mölders) sind überaus unglücklich und würden in der heutigen deutschen Marinepolitik wohl keine Nachahmung mehr finden. Offenbar hatte man gehofft, mit diesen drei Namen militärische Erfolge vom politischen System des Nationalsozialismus entkoppeln zu können, was angesichts des umfassenden Charakters des NS-Systems und der beinahe schon zwangsläufigen Verstrickung ihrer „Kriegshelden“ von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
Alternativ behalf man sich, indem man Schiffe nach Bundesländern, Städten oder Gemeinden benannte, was aber angesichts der teilweise äußerst geringen Verbindung zu maritimen Themen (z.B. „Bayern“ oder „Ensdorf“) bei der Schaffung einer deutschen Marinetradition kaum hilfreich war.
Dennoch hat man die Versuche, die Marine in eine traditionelle Linie zu bringen, noch nicht völlig aufgegeben. Mit der Zusammenlegung infanteristischer Komponenten der Marine (Marinesicherungskräften, Boardingkräften, Minentauchern und einer neuen Küsteneinsatzkompanie) unter dem Namen „Seebataillon“ im April 2014, knüpfte man an Traditionen der Kaiserlichen Marine an, die einst selbst mehrere „Seebataillone“ besaß. Aber auch hier wird man sich kritischen Nachfragen stellen müssen, denn die kaiserlichen „Seebataillone“ haben aufgrund ihrer Rolle bei der Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstandes und anschließender Strafaktionen mit zehntausenden vor allem zivilen Opfern zwar eine weiße Uniform, aber sicher keine weiße Weste vorzuweisen.

Comeback des Hurra-Patriotismus? Das "Seebataillon" 1900 in China
("Germans to the front", Carl Röchling 1905)

„Ruhmreiche“Alternativen zum Boxeraufstand finden sich für die „Seebataillone“ allerdings kaum, womit sich die Frage stellt, ob es tatsächlich diese Form der Tradition ist, die man pflegen will und ob man sich hier wirklich einen Gefallen getan hat. Die Herausstellung einer Tradition der Deutschen Marine wirkt insgesamt also wie ein schlecht vernähter Flickenteppich.

Sollte Deutschland besser ganz auf eine maritime Traditionspflege verzichten?
Interessant ist, dass man Streitkräfte in Deutschland immer noch mit der Brille des preußischen Militarismus betrachtet. Anders ist es kaum erklärbar, dass (aus Sicht der Deutschen Marine) die deutsche Marinegeschichte mit der brandenburgisch-preußischen Flotte im frühen 17. Jahrhundert beginnen soll. Ein kurzer Blick auf die Karte der Weltgeschichte zeigt nämlich, dass zu dieser Zeit Brandenburg-Preußen gar keine Gebiete besaß, die sowohl an der Küste, als auch im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lagen, also streng genommen gar keinen direkten deutschen Bezug haben.


Marinetradition à la Deutsche Marine: Die Geschichte soll mit Preußen beginnen
(Bildquelle: marine.de)


Dabei gab es doch vorher schon eine bedeutende Seemacht in Deutschland, deren Schiffe als Nachbau auch heute bei keiner maritimen Großveranstaltung fehlen dürfen und deren Traditionen in vielen zivilen Bereichen eine ungebrochene Popularität genießen: Die Hanse.
Auch wenn sie kein Staat in unserem heutigen Verständnis war und man sich wohl auch schwer tun müsste, sie überhaupt als Staatenbund zu verstehen, war sie faktisch doch eine wichtige Großmacht im Nord- und Ostseeraum des Mittelalters. Zwar war den Menschen des Mittelalters der nationale Begriff fremd, dennoch war die Hanse in erster Linie ein Verbund niederdeutscher Städte, auch wenn diese heute in verschiedenen Ländern Europas liegen. Insoweit kann man die Hanse schon als eine „deutsche“ Einrichtung verstehen und man könnte sie daher durchaus im Hinblick auf eine deutsche Marinetradition betrachten.
Insbesondere hat sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber Kaiserreich und Nazi-Deutschland: Sie kommt im Hinblick auf ihre Interessen und ihrer Vorgehensweise denen der Bundesrepublik Deutschland deutlich näher: Als was lässt sich der Interessenverbund Hanse denn anderes verstehen wenn nicht als ein System kollektiver Sicherheit? Wenn Deutschland in sicherheitspolitischer Hinsicht heute nichts mehr alleine, sondern nur noch im Verbund mit Partnerländern machen will und kann, drängt sich der Vergleich mit der Hanse ja geradezu auf. In vielfacher Hinsicht basierte der Erfolg der Hanse darauf, dass man zusammen arbeitete und sich jede Hansestadt nach ihren Möglichkeiten und Interessen beteiligte. 

Hat auch Seeschlachten im Portfolio: Hansegeschichte,
hier: Eroberung der schwedischen „Makellos“
durch die Lübecker 1564 (Hans Bohrdt, 1901)

Auch die maritimen Herausforderungen der Hansezeit sind vergleichbar. Es ging um die Sicherheit der Seewege, die etwa durch Piraterie bedroht waren, es ging aber auch um die Freiheit der Seewege, die an den „choke points“ wie etwa dem Öre-Sund zwischen Seeland und Schonen Ursache zahlreicher Interessenkonflikte und Kriege war. Wollte man im Verbund mehrerer Hanse-Städte agieren, vereinbarte man vorher penibel, welche Stadt welches Aufgebot zu stellen hatte, im NATO-Jargon würde man heute wohl von „pooling and sharing“ sprechen.
Den Einsatz einer eigenen „Hanse-Marine“ gab es im Mittelalter allerdings nie (erst ab dem 17. Jahrhundert besaßen Städte wie Hamburg eigene „Convoi-Schiffe“). Im Bedarfsfall wurden Schiffe kurzfristig gekauft oder gechartert, die ursprünglichen Eigner agierten oft im Auftrag der jeweiligen Hansestädte. Sicherheit war also in der Regel eine privatisierte Angelegenheit, nicht nur in den Hansestädten, sondern auch in den europäischen Königreichen. Das führte nicht selten zu Problemen, etwa wenn Konflikte beendet waren, die beauftragten Freibeuter aber Geschmack an ihrer Tätigkeit gefunden hatten und ihr Werk einfach weiter trieben. So kosteten beispielsweise die Piraten um Klaus Störtebeker und Gödeke Michels die Hanse einen erheblichen Aufwand, bis man ihrem Treiben endlich ein Ende setzen konnte. Ein Problem, das Simone Ludewig auch für unsere Zeit, nämlich mit den privaten Sicherheitsdiensten und ihren „Floating Armories“ im indischen Ozean heraufziehen sieht. Dennoch war die Hanse einer der einflussreichsten Akteure im nordeuropäischen Raum, der es gelang, in fast allen großen und kleinen Konflikten ihre Interessen durchzusetzen. Der Erfolg der Hanse basierte vor allem auf ihrer Seemacht und ihr Hinterland war wirtschaftlich von den Transportwegen abhängig. 
Im Niedergang der Hanse zeigt sich, wie sehr sich Meer und Land in Fragen der Sicherheitspolitik bedingen. Mit dem Ausbau landesherrlicher Macht im deutschen Reich ging nach und nach der Einfluss auf das wirtschaftlich wichtige Hinterland und damit die Marktmacht der seewärtigen Hansestädte verloren. Damit schwand auch die Seemacht gegenüber den aufstrebenden Seefahrernationen wie etwa den Niederlanden, England oder Frankreich – auch wenn Städte wie Hamburg und Lübeck noch lange Zeit eine wichtige Rolle auf den internationalen Seewegen spielten und die Traditionen der Hanse eine ganze Weile fortsetzen konnten.

Die Hamburger „Bunte Kuh“ soll Klaus
Störtebeker zur Strecke gebracht haben.
Tatsächlich war sie ein deutlich kleineres,
einmastiges Schiff (Hans Bohrdt, 1901)
Es zeigen sich also vielfältige Anknüpfungspunkte und -möglichkeiten der heutigen Deutschen Marine zu einer Hansetradition. Dennoch sollen auch die Schattenseiten nicht verborgen werden. So agierte die Hanse oftmals stark machtpolitisch, setzte ihre Interessen und ihre Monopole rücksichtslos durch und profitierte erheblich von der gewaltsamen Eroberung des Baltikums durch (meist) deutsche Kreuzfahrer. Sie war also nicht immer nur der Verbund friedlicher Händler, als den man sie in heutigem Verständnis gerne sieht. Auch wurde etwa in der wilhelminischen Kaiserzeit versucht, die Hanse als traditionsstiftendes Element für eine deutsche Flottenpolitik zu nutzen. Diese Versuche muteten aber ähnlich hilflos und unausgegoren an wie die der Deutschen Marine heute: Weil die kleinen und einmastigen hansischen Koggen des Mittelalters im Vergleich zu den großen traditions-stiftenden, hochseetauglichen Dreimastern der englischen oder niederländischen Seestreitkräfte des 17. und 18. Jahrhunderts weniger eindrucksvoll waren, wurden sie von deutschen Marinemalern wie Hans Bohrdt teils erheblich ausgeschmückt. Sie wurden mit zusätzlichen Masten ausgestattet und deutlich größer dargestellt als sie eigentlich waren. Denn zu den gewaltigen Rüstungsvorhaben des Kaiserreiches passten die kleinen, vor allem kosteneffizienten Schiffe der Hansezeit eigentlich gar nicht. Sie würden viel eher in die haushaltspolitischen Vorgaben und Probleme unserer Zeit passen.

Flaggschiff „Hansa“ der Reichsmarine
von 1848 als späteres Postschiff
(zeitgenössische Postkarte)
Geschichtsbilder lassen sich nie vollständig von einer Zeit in die andere übertragen. Dennoch bietet gerade die Hanse eine ganze Palette an Parallelen zu den Aufgaben und Herausforderungen maritimer deutscher Sicherheitspolitik und damit einen deutlich besseren Ansatz, wenn man eine Marinetradition finden möchte. Insofern ist es verwunderlich, dass die Deutsche Marine den „hanseatischen“ Traditionsansatz nicht auf dem Radarschirm hat bzw. ihn nicht konsequenter verfolgt. Bei der deutschen Flotte von 1848 war man da schon etwas weiter: Ihr Flaggschiff trug den bezeichnenden Namen „Hansa“. 



 
 Knut Kollex studiert Politikwissenschaft, schleswig-holsteinische und nordeuropäische Geschichte an der CAU Kiel. Zu seinen Interessenschwerpunkten zählen - neben maritimen Themen - Fragen der Staatlichkeit und die Analyse politischer Risiken.