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Mittwoch, 24. Dezember 2014

Gibt´s da auch was von Ratiopharm? Ja, Aspirin der Anden - Illegaler Drogenhandel über deutsche Häfen

Am 14. Dezember 2014 entdeckte das Hauptzollamt Hamburg Hafen in einem Bananencontainer aus Ecuador einem Schiff aus Kolumbien mehre Pakete mit insgesamt 66 Kilogramm Kokain. Schätzungen zufolge hat das Rauschgift einen Straßenwert von etwa 4,3 MillionenEuro. Doch dieser Fund ist keine Einzelheit und zeigt, dass viele Drogen über den Seeweg nach Deutschland und die EU gelangen oder von hier weitertransportiert werden.

Allein im Hamburger Hafen wurden im Jahr 2013 139 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen, davon über 9 Millionen 20-Fuß-Container. Diese Mengen sind enorm schwer auf illegale Waren zu kontrollieren. Illegale Waffen, Sprengstoff oder Drogen stellen dabei eine große Gefahr dar. Bekanntermaßen werden 90% des weltweiten Warenverkehrs über den Seeweg abgewickelt. Mit den legalen Waren kommen auch die illegalen Waren über die Meere nach Deutschland. Die Häfen in Deutschland sind dabei das zu passierende „Gate“, um die Ware ins Land zu schmuggeln bzw. über Deutschland weiter zu transportieren.

Kokain in Bananenkisten geschmuggelt
(http://img.morgenpost.de/img/vermischtes/crop123638482/7470747364-ci3x2l-w460/Kokainfund-bei-Discounter.jpg)

Um diesem Problem effektiv begegnen zu können, müssen Kontrollen durchgeführt, vorab Informationen über die Waren eingeholt und weitere Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. Dabei stellt sich ein großes Problem heraus. Um zu verhindern, dass die oben angesprochenen illegalen Waren nach Deutschland gelangen müssten alleine in Hamburg (sowie in anderen deutschen Häfen auch) angesichts der Großen Gütermengen umfangreiche Maßnahmen ergriffen werden. Da aber auf der anderen Seite 90% des Warenverkehrs über See verschifft werden und im Logistikbereich bekanntermaßen Zeit Geld ist, treffen hier die Sicherheitsinteressen Deutschlands und der EU auf wirtschaftliche Interessen der Spediteure und letztlich des gesamten Marktes. Drogen sind damit nicht nur eine Gefahr für die Bevölkerung, sondern gleichermaßen für die Wirtschaft, wenn das Aufspüren von illegalen Waren den Handel behindert.

Ein Ansatz um diesem Interessenkonflikt vorzubeugen könnten Programme wie die berührungslose Inspektion im Hafen-Terminal (ECSIT) sein. Dabei werden die Container nicht geöffnete, was relativ viel Zeit in Anspruch nimmt, sondern mit moderner Technik durchleuchtet und auf Gefahrengut durchsucht. Solche Ansätze dienen der schnellen Abwicklung des Handels, sowohl bei Containern, die in Deutschland gelöscht werden, als auch solche die nur zum Zwischenhandel in deutschen Häfen verweilen. Auf EU-Ebene gibt es Ansätze wie das Authorised Economic Operator concept“ (AEO), welches Händler dazu auffordert dem Zoll umfangreicher Informationen über ihre Waren, die in die EU gebracht werden, zu geben. Diese Maßnahmen sind zwar primär zur Abwehr von terroristischen Angriffen gedacht, unterstützen aber auch den Kampf gegen den internationalen Drogenschmuggel. Moderne IT-Programme sollen das AEO-Konzept zusätzlich unterstützen, um eine bessere Koordination der Zollbeamten der EU und Drittstaaten zu gewährleisten.

Wie die meisten maritimen Bedrohungen kann auch die des illegalen Drogenschmuggels nicht alleine auf See bzw. an den Häfen bekämpft werden. Es müssen umfassende Maßnahmen in den Ländern ergriffen werden, in denen die Drogen angebaut bzw. hergestellt werden. Ebenso müssen Anstrengungen in jenen Ländern ergriffen werden, in die die Drogen importiert werden. Solcher Ansätze sind in der EU-Drogenstrategie (2013-2020) beschritten worden. Dort wird betont, dass es sich bei dem „Drogenphänomenum ein globales Problem handelt. Es müssten ferner koordinative Maßnahmen ergriffen werden, um das Drogenproblem innerhalb und außerhalb der EU zu bekämpfen. Ziele der EU-Drogenstrategie sind dabei u.a. eine Reduzierung der Drogennachfrage, die Zerschlagung von illegalen Drogenmärkten, global und auf EU-Ebene die Koordination der Bekämpfung illegaler Drogen verbessern und dabei auch mit Drittstaaten und int. Organisationen zusammenarbeiten und schließlich eine verbesserte Überwachung und Forschung über Drogenhandel vorantreiben. Auch das Auswärtige Amt betont ähnliche Vorhaben, die Nachfrage in Deutschland zu senken und Kooperationen in Ländern wie Afghanistan, den Andenstaaten und Westafrika voranzutreiben.


Maßnahmen die den Drogenhandel schon am Ursprung bekämpfen sind ungemein wichtig, da dieser nicht erst an deutschen Häfen bekämpft werden kann. Hier werden zwar immer wieder Drogen entdeckt, doch die tatsächliche Menge, der nicht entdeckten Rauschmittel lässt sich nur schätzen. Mittlerweile hat sich der Drogenhandel über die Weltmeere verbreitet (siehe Graphik), so dass die Kontrollen in den deutschen Häfen nur ein kleiner Teil einer umfassenden Strategie sein können, um den illegalen Drogenhandel zu unterbinden. Ein Beleg dafür ist beispielsweise, dass zunehmend Kokain aus Südamerika über den Lufttransport nach Deutschland gelangt. Im Jahr 2013 wurden am Flughafen Frankfurt/Main mehrere Pakete Luftpost sichergestellt, in denen Kokain enthalten war und die für den Weiterversand in andere Länder bestimmt waren. Sollte der Drogenschmuggel nur in den Häfen und auf See bekämpft werden, werde sich die Drogen einen anderen Weg in die EU oder nach Deutschland bahnen. 

Der Weg von Kokain von Südamerika in die EU und USA
(https://bretterblog.files.wordpress.com/2012/08/drug-trafficing.png%3Fw%3D450%26h%3D278)

Daraus resultiert, dass maritime Probleme, besonders dass des Drogenschmuggels, keinesfalls allein auf dem Meer oder den Häfen bekämpft werden können. Eine Großangelegte Strategie ist hier die einzige Möglichkeit, den Krieg gegen die Drogen nicht zu verlieren. Es bedarf einer nachhaltigen Lösung, um das Problem effektiv zu bekämpfen. Dabei müssen maritime Aspekte genauso berücksichtigt werden, wie Entwicklungs- und Aufklärungshilfe und eine nachhaltige Politik. Außerdem sollten weiterhin Maßnahmen und Kooperationen zwischen EU-Staaten und Drittländern vorangetrieben werden, die dem Schutz der Bevölkerung vor illegalen Drogen, die über die Meere transportiert worden sind, bieten. Ein ganzheitlicher Ansatz maritimer Sicherheit, der mit einem weitem Sicherheitsbegriff verkoppelt ist, muss hier das Fundament einer Strategie gegen den illegalen Drogenhandel bieten.


Max Hagen ist Student im Master Internationale Politik und internationales Recht an der CAU Kiel. Interessenschwerpunkte sind umwelt- und energiepolitische Themen, wie energetische Versorgungssicherheit oder die deutsche Energiewende im Fokus der Öffentlichkeit.

Sonntag, 21. Dezember 2014

Deutsche Marinetradition - Ein tückisches Gewässer


In manchen Bereichen der Sicherheitspolitik ist der rote Faden einer Strategie bisweilen etwas schwammig formuliert. Maritime Sicherheit ist ein Bereich, in dem es hilfreich sein kann, das Bild des roten Fadens dadurch zu schärfen, indem man einen Blick auf die Marinetradition wirft. Interessant ist, welche historischen Aspekte in den Vordergrund gestellt werden und wie man sie pflegt. Denn häufig bedingt das, was man hat, das was man im Bereich der maritimen Sicherheit tut (bzw. leisten kann). Traditionen bestimmen die Rolle, in der sich eine nationale Marine sieht und beeinflusst so auch die Richtung technischer Entwicklungen, die wiederum in der Zukunft Auswirkungen auf das mögliche Einsatzspektrum haben kann.

Ikone britischer Seemacht: 
Restaurierte HMS „Victory“
(Bildquelle: wikimedia.org)
Für die traditionsreiche britische Marine etwa gehört hierzu sicherlich das Herausstellen bedeutender Siege und ihrer Helden, wie etwa Admiral Lord Nelson und die Seeschlacht von Trafalgar oder der Entdecker, Weltumsegler und Freibeuter Sir Francis Drake. Die Pflege dieser Tradition zeigt auch den eigenen maritimen Anspruch: Wahrung globaler Seemacht und weltweite Sicherung maritimer Interessen. Auch wenn das Vereinigte Königreich immer größere Schwierigkeiten hat, diesen Anspruch finanzieren zu können, leistet man sich nach wie vor ein beeindruckendes Arsenal, zu dem u.a. Flugzeugträger und Atom-Uboote gehören.
Traditionspflege seit 1797:
USS „Constitution“
(Bildquelle: wikimedia.org)
Auch die einzig wirkliche globale Marine, die US Navy, pflegt in diesem Sinne ihre Traditionen, wenn sie auch nicht so weit zurück reichen wie die des britischen Empires. Dazu gehören die Auseinandersetzungen mit der britischen Krone, insbesondere im Krieg von 1812, aber ebenso die Seeschlachten des zweiten Weltkrieges, vor allem das Drama um den japanischen Angriff auf Pearl Harbour 1941. Auch hier geht es um den globalen Anspruch, die eigene Heimat, aber auch die Interessen der USA und ihrer Verbündeten zu schützen, was aus amerikanischer Sicht präventive oder gar offensive Aktionen rechtfertigen könne.

Die Deutsche Marine tut sich mit ihrer Traditionspflege deutlich schwerer. Das liegt zum einen an der kurzen uneingeschränkt „deutschen“ Marinegeschichte – wurde Deutschland doch erst mit der Gründung des Kaiserreiches 1871 zu einem Staat in unserem heutigen Verständnis. Zum anderen können sich die deutschen Seestreitkräfte zur Traditionspflege meist nur auf zweifelhafte militärische Erfolge aus zwei Weltkriegen berufen, zumindest wenn man den herkömmlichen Traditionsansätzen folgt. Dies kann aber allein schon angesichts der vielen Opfer weder dem deutschen Staat, noch der Deutschen Marine zur Ehre gereichen. Die Versuche, dennoch eine Traditionslinie aufzubauen, wirken deshalb eher unbeholfen und sind wenig überzeugend. So wird etwa die deutsche Reichs-Flotte von 1848 zur Traditionsbildung herangezogen, obwohl sie nur sehr kurz Bestand hatte, kaum Erfolge vorweisen konnte und (rechtlich) nie wirklich die Flotte eines deutschen Gesamt-Staates war.
Auch die Benennung dreier deutscher Lenkwaffenzerstörer in den 1960er Jahren nach „Kriegshelden“ des zweiten Weltkrieges (Rommel, Lütjens, Mölders) sind überaus unglücklich und würden in der heutigen deutschen Marinepolitik wohl keine Nachahmung mehr finden. Offenbar hatte man gehofft, mit diesen drei Namen militärische Erfolge vom politischen System des Nationalsozialismus entkoppeln zu können, was angesichts des umfassenden Charakters des NS-Systems und der beinahe schon zwangsläufigen Verstrickung ihrer „Kriegshelden“ von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
Alternativ behalf man sich, indem man Schiffe nach Bundesländern, Städten oder Gemeinden benannte, was aber angesichts der teilweise äußerst geringen Verbindung zu maritimen Themen (z.B. „Bayern“ oder „Ensdorf“) bei der Schaffung einer deutschen Marinetradition kaum hilfreich war.
Dennoch hat man die Versuche, die Marine in eine traditionelle Linie zu bringen, noch nicht völlig aufgegeben. Mit der Zusammenlegung infanteristischer Komponenten der Marine (Marinesicherungskräften, Boardingkräften, Minentauchern und einer neuen Küsteneinsatzkompanie) unter dem Namen „Seebataillon“ im April 2014, knüpfte man an Traditionen der Kaiserlichen Marine an, die einst selbst mehrere „Seebataillone“ besaß. Aber auch hier wird man sich kritischen Nachfragen stellen müssen, denn die kaiserlichen „Seebataillone“ haben aufgrund ihrer Rolle bei der Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstandes und anschließender Strafaktionen mit zehntausenden vor allem zivilen Opfern zwar eine weiße Uniform, aber sicher keine weiße Weste vorzuweisen.

Comeback des Hurra-Patriotismus? Das "Seebataillon" 1900 in China
("Germans to the front", Carl Röchling 1905)

„Ruhmreiche“Alternativen zum Boxeraufstand finden sich für die „Seebataillone“ allerdings kaum, womit sich die Frage stellt, ob es tatsächlich diese Form der Tradition ist, die man pflegen will und ob man sich hier wirklich einen Gefallen getan hat. Die Herausstellung einer Tradition der Deutschen Marine wirkt insgesamt also wie ein schlecht vernähter Flickenteppich.

Sollte Deutschland besser ganz auf eine maritime Traditionspflege verzichten?
Interessant ist, dass man Streitkräfte in Deutschland immer noch mit der Brille des preußischen Militarismus betrachtet. Anders ist es kaum erklärbar, dass (aus Sicht der Deutschen Marine) die deutsche Marinegeschichte mit der brandenburgisch-preußischen Flotte im frühen 17. Jahrhundert beginnen soll. Ein kurzer Blick auf die Karte der Weltgeschichte zeigt nämlich, dass zu dieser Zeit Brandenburg-Preußen gar keine Gebiete besaß, die sowohl an der Küste, als auch im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lagen, also streng genommen gar keinen direkten deutschen Bezug haben.


Marinetradition à la Deutsche Marine: Die Geschichte soll mit Preußen beginnen
(Bildquelle: marine.de)


Dabei gab es doch vorher schon eine bedeutende Seemacht in Deutschland, deren Schiffe als Nachbau auch heute bei keiner maritimen Großveranstaltung fehlen dürfen und deren Traditionen in vielen zivilen Bereichen eine ungebrochene Popularität genießen: Die Hanse.
Auch wenn sie kein Staat in unserem heutigen Verständnis war und man sich wohl auch schwer tun müsste, sie überhaupt als Staatenbund zu verstehen, war sie faktisch doch eine wichtige Großmacht im Nord- und Ostseeraum des Mittelalters. Zwar war den Menschen des Mittelalters der nationale Begriff fremd, dennoch war die Hanse in erster Linie ein Verbund niederdeutscher Städte, auch wenn diese heute in verschiedenen Ländern Europas liegen. Insoweit kann man die Hanse schon als eine „deutsche“ Einrichtung verstehen und man könnte sie daher durchaus im Hinblick auf eine deutsche Marinetradition betrachten.
Insbesondere hat sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber Kaiserreich und Nazi-Deutschland: Sie kommt im Hinblick auf ihre Interessen und ihrer Vorgehensweise denen der Bundesrepublik Deutschland deutlich näher: Als was lässt sich der Interessenverbund Hanse denn anderes verstehen wenn nicht als ein System kollektiver Sicherheit? Wenn Deutschland in sicherheitspolitischer Hinsicht heute nichts mehr alleine, sondern nur noch im Verbund mit Partnerländern machen will und kann, drängt sich der Vergleich mit der Hanse ja geradezu auf. In vielfacher Hinsicht basierte der Erfolg der Hanse darauf, dass man zusammen arbeitete und sich jede Hansestadt nach ihren Möglichkeiten und Interessen beteiligte. 

Hat auch Seeschlachten im Portfolio: Hansegeschichte,
hier: Eroberung der schwedischen „Makellos“
durch die Lübecker 1564 (Hans Bohrdt, 1901)

Auch die maritimen Herausforderungen der Hansezeit sind vergleichbar. Es ging um die Sicherheit der Seewege, die etwa durch Piraterie bedroht waren, es ging aber auch um die Freiheit der Seewege, die an den „choke points“ wie etwa dem Öre-Sund zwischen Seeland und Schonen Ursache zahlreicher Interessenkonflikte und Kriege war. Wollte man im Verbund mehrerer Hanse-Städte agieren, vereinbarte man vorher penibel, welche Stadt welches Aufgebot zu stellen hatte, im NATO-Jargon würde man heute wohl von „pooling and sharing“ sprechen.
Den Einsatz einer eigenen „Hanse-Marine“ gab es im Mittelalter allerdings nie (erst ab dem 17. Jahrhundert besaßen Städte wie Hamburg eigene „Convoi-Schiffe“). Im Bedarfsfall wurden Schiffe kurzfristig gekauft oder gechartert, die ursprünglichen Eigner agierten oft im Auftrag der jeweiligen Hansestädte. Sicherheit war also in der Regel eine privatisierte Angelegenheit, nicht nur in den Hansestädten, sondern auch in den europäischen Königreichen. Das führte nicht selten zu Problemen, etwa wenn Konflikte beendet waren, die beauftragten Freibeuter aber Geschmack an ihrer Tätigkeit gefunden hatten und ihr Werk einfach weiter trieben. So kosteten beispielsweise die Piraten um Klaus Störtebeker und Gödeke Michels die Hanse einen erheblichen Aufwand, bis man ihrem Treiben endlich ein Ende setzen konnte. Ein Problem, das Simone Ludewig auch für unsere Zeit, nämlich mit den privaten Sicherheitsdiensten und ihren „Floating Armories“ im indischen Ozean heraufziehen sieht. Dennoch war die Hanse einer der einflussreichsten Akteure im nordeuropäischen Raum, der es gelang, in fast allen großen und kleinen Konflikten ihre Interessen durchzusetzen. Der Erfolg der Hanse basierte vor allem auf ihrer Seemacht und ihr Hinterland war wirtschaftlich von den Transportwegen abhängig. 
Im Niedergang der Hanse zeigt sich, wie sehr sich Meer und Land in Fragen der Sicherheitspolitik bedingen. Mit dem Ausbau landesherrlicher Macht im deutschen Reich ging nach und nach der Einfluss auf das wirtschaftlich wichtige Hinterland und damit die Marktmacht der seewärtigen Hansestädte verloren. Damit schwand auch die Seemacht gegenüber den aufstrebenden Seefahrernationen wie etwa den Niederlanden, England oder Frankreich – auch wenn Städte wie Hamburg und Lübeck noch lange Zeit eine wichtige Rolle auf den internationalen Seewegen spielten und die Traditionen der Hanse eine ganze Weile fortsetzen konnten.

Die Hamburger „Bunte Kuh“ soll Klaus
Störtebeker zur Strecke gebracht haben.
Tatsächlich war sie ein deutlich kleineres,
einmastiges Schiff (Hans Bohrdt, 1901)
Es zeigen sich also vielfältige Anknüpfungspunkte und -möglichkeiten der heutigen Deutschen Marine zu einer Hansetradition. Dennoch sollen auch die Schattenseiten nicht verborgen werden. So agierte die Hanse oftmals stark machtpolitisch, setzte ihre Interessen und ihre Monopole rücksichtslos durch und profitierte erheblich von der gewaltsamen Eroberung des Baltikums durch (meist) deutsche Kreuzfahrer. Sie war also nicht immer nur der Verbund friedlicher Händler, als den man sie in heutigem Verständnis gerne sieht. Auch wurde etwa in der wilhelminischen Kaiserzeit versucht, die Hanse als traditionsstiftendes Element für eine deutsche Flottenpolitik zu nutzen. Diese Versuche muteten aber ähnlich hilflos und unausgegoren an wie die der Deutschen Marine heute: Weil die kleinen und einmastigen hansischen Koggen des Mittelalters im Vergleich zu den großen traditions-stiftenden, hochseetauglichen Dreimastern der englischen oder niederländischen Seestreitkräfte des 17. und 18. Jahrhunderts weniger eindrucksvoll waren, wurden sie von deutschen Marinemalern wie Hans Bohrdt teils erheblich ausgeschmückt. Sie wurden mit zusätzlichen Masten ausgestattet und deutlich größer dargestellt als sie eigentlich waren. Denn zu den gewaltigen Rüstungsvorhaben des Kaiserreiches passten die kleinen, vor allem kosteneffizienten Schiffe der Hansezeit eigentlich gar nicht. Sie würden viel eher in die haushaltspolitischen Vorgaben und Probleme unserer Zeit passen.

Flaggschiff „Hansa“ der Reichsmarine
von 1848 als späteres Postschiff
(zeitgenössische Postkarte)
Geschichtsbilder lassen sich nie vollständig von einer Zeit in die andere übertragen. Dennoch bietet gerade die Hanse eine ganze Palette an Parallelen zu den Aufgaben und Herausforderungen maritimer deutscher Sicherheitspolitik und damit einen deutlich besseren Ansatz, wenn man eine Marinetradition finden möchte. Insofern ist es verwunderlich, dass die Deutsche Marine den „hanseatischen“ Traditionsansatz nicht auf dem Radarschirm hat bzw. ihn nicht konsequenter verfolgt. Bei der deutschen Flotte von 1848 war man da schon etwas weiter: Ihr Flaggschiff trug den bezeichnenden Namen „Hansa“. 



 
 Knut Kollex studiert Politikwissenschaft, schleswig-holsteinische und nordeuropäische Geschichte an der CAU Kiel. Zu seinen Interessenschwerpunkten zählen - neben maritimen Themen - Fragen der Staatlichkeit und die Analyse politischer Risiken.   









Freitag, 12. Dezember 2014

Offshore-Windparks – Gefährlich exponiert? Teil 2/2: Das Risiko

In Teil 1 dieser Überlegung wurde eine Bedrohung der Offshore-Windparks plausibel gemacht. In Teil 2 wird überlegt, wie schwer ein solcher Schlag einer feindlichen Macht Deutschland treffen würde.
 
Wie weh würde Deutschland ein solcher Angriff auf die Offshore-Anlagen tun? Welchen Schaden könnte solch ein Angriff ausrichten, abgesehen vom wirtschaftlichen Schaden? Wie groß wäre die Einbuße an Stromerzeugungskapazitäten? In 2015 wäre die Einbuße noch minimal. Zurzeit befinden sich fast alle Offshore-Anlagen im Bau oder in der Planung. Einer der wenigen bereits fertig gestellten Windparks „BARD Offshore 1“ erzeugt unter Volllast eine Leistung von 400 MW. Zum Vergleich: Die leistungsstärksten, noch betriebenen, deutschen Atomkraftwerke Isar 2 und Brokdorf erzeugen jeweils rund 1400 MW. Die aber rund um die Uhr.
Offshore-Windpark Kapazitäten, Quelle: Offshore-Stiftung

Ein Windrad kann nicht Strom erzeugen, wenn zu viel oder wenn zu wenig Wind weht. Dennoch sind die Stunden, die ein Windrad unter Volllast arbeiten kann auf hoher See weitaus höher als für Windräder an Land. Derzeit liegt die Zahl der Volllaststunden für Offshore-Windräder bei rund 4000 Stunden pro Jahr.

Stellen wir eine Rechnung an. Sind die Windparks fertiggestellt, soll in der deutschen Nordsee 3500 MW Leistung erzeugt werden können. Wie groß ist der zukünftige Anteil der Offshore-Windenergie in der Nordsee an der zukünftigen Gesamtstromerzeugung in Deutschland? Dieser Anteil wäre gute Zahl, um das sicherheitspolitische Risiko der Offshore Windenergie zu bewerten. Wird der Anteil hoch sein, wird auch das Risiko hoch sein. Denn wie festgestellt, wird es recht einfach sein, die Anlagen anzugreifen.

Die Energiewende wird vorangetrieben. Jede nutzbare Fläche der deutschen Außenwirtschaftszone in der Nordsee soll bebaut werden. Die angepeilte Gesamtleistung der Offshore-Windparks in der Nordsee soll rund 3500 MW betragen, oder 3,5 GW. Würde durch koordinierte Angriffe auf die Knotenpunkte der Windparks die gesamte Leistung ausfallen, welche Einbuße an Stromerzeugungskapazitäten muss Deutschland dann bewältigen?

Kaum Auswirkungen, selbst bei Totalausfall


Wir wollen die Rechnung überschlagsartig anstellen und vor allem unabhängig von der Diskussion, ob die Energiewende praktisch bis 2050 durchzusetzen ist – unter der Annahme also, dass alle gravierenden technischen und ökonomischen Schwierigkeiten bewältigt werden. Die Bundesregierung veranschlagt für 2008 einen Stromverbrauch von 25% unter dem Niveau von 2008. 2008 „verbauchte“ Deutschland ca. 617 Mrd. kWh, 2050 soll es folglich 463 Mrd. kWh benötigen. 463 Mrd. kWh müssen also 2050 auch mindestens erzeugt werden, um den „Verbrauch“ zu decken.

Rechnen wir nun aus, wie viel die ausgebauten Windparks mindestens erzeugen werden. Sind alle Parks errichtet und angeschlossen, sollen sie unter Volllast 3500 MW erzeugen. Bei 4000 Stunden Volllastbetrieb im Jahr macht das 14 Mrd. kWh. Nehmen wir zusätzlich noch an, dass die restlichen Stunden im Jahr durchschnittlich die Hälfte davon erzeugt werden kann, aufgrund von schwächerem oder zu starkem Wind. Nehmen wir also noch 7 Mrd. kWh hinzu. Nach dieser konservativen Überschlagsrechnung könnten die errichteten Windparks rund 21 Mrd. kWh im Jahr erzeugen.

Windrad, Quelle: Siemens
Nehmen wir die Zahlen zusammen: Der anvisierte Stromverbrauch 2050 sei 463 Mrd. kWh. 21 Mrd. kWh könnten durch alle geplanten Windräder in der deutschen Außenwirtschaftszone erzeugt werden. Die Offshore-Windkraftanlagen werden nach dieser hier angestellten Rechnung also rund 5% des deutschen Stromverbrauchs decken. 5% sieht nicht sonderlich dramatisch aus.

Einen Ausfall von 5% der deutschen Energieversorgung bei Totalausfall der Offshore-Windenergie dürfte Deutschland im Konfliktfall verkraften können. Sicherlich, der Ausfall von einem Stromerzeugungsäquivalent von zweieinhalb Kernkraftwerken wird etwas unangenehm sein, doch ist es nichts, was die Stromversorgung Deutschlands in die Knie zwingen würde.

Eine Attacke auf die Offshore-Windkraftanlagen wird sicherheitspolitisch nicht dramatisch sein. Der höchstmöglich anzunehmende Beitrag des Offshore-Windstroms zur Stromversorgung Deutschlands 2050 wird bei 5% liegen. Ein Ausfall dieser 5% wird zu verkraften sein. Der Ausfall von diesen 5% der Stromerzeugung muss im Konfliktfall auch verkraftet werden: ein wirksamer Schutz ist wegen des völkerrechtlich garantierten Rechts auf friedliche Durchfahrt auch nicht zu leisten.

Sicherheitspolitisch werden Offshore-Anlagen nach dieser Rechnung kaum eine Rolle spielen, weil sie energiepolitisch kaum eine Rolle spielen werden. Voraussichtlich werden die Anlagen zukünftig nur der Berufsschifffahrt, den Seglern, den Piloten und den Umweltschützern und dem Arbeitsschutz viel geben: Und zwar Anlass zum Ärger.

Eine modifizierte Rechnung – und doch ein großes Risiko?


Die Bundesregierung aber nimmt an, dass im Jahr 2050 Offshore-Windräder 25% der Stromerzeugung erbringen werden. Diese Annahme kann nur stimmen, wenn ein gewisser technologische Fortschritt vorausgesehen wird: Erstens müsste die Zahl der Volllaststunden stark steigen. Zweitens müsste der Wirkungsgrad der aufgestellten Räder stark erhöht werden. Sollte das tatsächlich passieren, steht Deutschland dann doch ein großes strategisches Risiko ins Haus. In ungefähr 35 Jahren könnten dann, wenn der Plan der Bundesegierung erfüllt wird, ein Viertel der deutschen Stromerzeugung auf hoher See stehen. Exponiert, ungeschützt, militärisch leicht und billig störbar.

Sind die Offshore-Windparks nun aus sicherheitspolitischer Sicht ein großes Risiko für Deutschland? Es wird stark davon abhängen, wie sich die Windkraft-Technologie entwickelt. Die Steigerung des Wirkungsgrads der Windräder gilt es zu beobachten.

Tim Bergmann studiert im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit Schwerpunkt auf Sicherheitspolitik. Zuvor studierte er Politikwissenschaft und Geschichte in Dresden.

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Offshore-Windparks – Gefährlich exponiert? Teil 1/2: Die Bedrohung

Windpark "Alpha Ventus", Quelle: Siemens

Die Energiewende schreitet voran


Fast zwei Wochen ist es her, da gab Eon bekannt, zukünftig nur noch Strom aus erneuerbaren Energiequellen erzeugen zu wollen. Das Geschäft mit Kernkraft, Kohle und Gas soll in eine neue Gesellschaft ausgegliedert und nach und nach abgewickelt werden. Einer der größten Energiekonzerne Europas setzt damit die von der Politik geforderte „Energiewende“ konsequent um: Zukünftig keine fossilen Energieträger mehr nutzen, dafür Sonne, Wind, Bio- und Geothermie. Heute machen „Erneuerbare“ 25% der Stromversorgung Deutschlands aus. Bis 2050 – in rund 35 Jahren – soll Deutschlands Stromversorgung zu 80% mit „Erneuerbaren“ gedeckt werden.

Strategischer Vorteil durch Energiewende?


Die Politik feiert die Energiewende nicht nur als Sieg für die Umwelt. Deutschland gewinne mit der Energiewende auch einen strategischen Vorteil: Weil Deutschland in Zukunft kaum noch von fossilen Brennstoffen – Kohle, Öl und Gas – abhängig sein soll, fiele für fremde Mächte Erpressungspotential weg. Die Energiewende bringe Energie-Autarkie, wenn nicht für Deutschland, zumindest für Europa und seinem Energiebinnenmarkt. Um strategische Auseinandersetzung um unsere Energieversorgung bräuchten wir uns in Zukunft weitaus weniger Sorgen machen, so die Folgerung. Russlands Gas und das Öl des Mittleren Ostens soll uns egal werden. Damit müssten wir in Zukunft auch weniger Rücksicht auf die Interessen der Länder legen, die Öl und Gas fördern. Heimischer Strom ersetzt Strom aus Öl und Gas fremder Länder. Soweit die behauptete Logik für sicherheitspolitische Vorteile der Energiewende. Doch stimmt diese Logik? Folgt aus der Erzeugung des Stroms im eigenen Land, dass man das Energiethema als „heißes“ Thema der Sicherheitspolitik „abkühlen“ kann?

Zukünftig soll Energie in Deutschland dezentraler erzeugt werden. Allein bis 2012 wurden über 1,2 Mio. Solaranlagen auf den Dächern der Deutschen montiert. Jeder Haushalt kann zum Kraftwerk werden. Kleine Bio- und Geothermie-Anlagen erzeugen ebenfalls regional Energie. Abgesehen von den elektrotechnischen Problemen, die sich durch die vermehrte dezentrale Einspeisung ergeben, mutet die Dezentralisierung wirklich als Schritt zu einer auch im Konfliktfall sicheren Energieversorgung an. Früher hing die Energieversorgung an einigen wenigen großen Kraftwerken. Wurden die im Konfliktfall bombardiert und zerstört, hatte man ein Problem. Zukünftig, so könnte man sich vorstellen, müsste man nun tausende Windkrafträder umknicken, um den gleichen Effekt zu erreichen – praktisch unmöglich. Oder doch nicht?

Offshore-Windparks: ungeschützt und angreifbar


Windkraft lässt sich auf See besser nutzen als an Land. Entsprechend sind die Windkraftanlagen, die fern der Küste, also „off shore“ entstehen große Hoffnungsträger der Energiewende. Doch wie verwundbar sind sie? Schiffe, besonders Segler, geraten schon jetzt aus Versehen in die Windparks. Die Verirrten müssen äußerst vorsichtig manövrieren, um eine Kollision mit den Stahlpfeilern zu vermeiden, die so dick sind, wie ihr Segelschiff lang ist. Aber was, wenn eine Kollision absichtlich geschieht? Mit einem alten Kutter voller Sprengstoff? Die Schifffahrtswege der Nordsee sind nur ein paar Minuten entfernt von den Anlagen. Schnell kann ein Schiff aus dem Berufsverkehr ausscheren. Zum nächsten Windpark sind es nur ein paar Minuten. Ein solchermaßen entschlossenes Schiff ist praktisch nicht zu stoppen.

Die geplanten und gebauten Offshore-Windparks in der deutschen AWZ, Quelle: BSH

Im Zeitalter der Holzschiffe hatten die vor Anker liegenden Kapitäne der Korvetten, Fregatten oder Linienschiffen vor einem Angriff besonders Angst: den Brandern. Brander waren für den Angreifer eine äußerst billige und effektive Waffe. Brander waren kleine Beiboote, die von den Angreifern mit Brennmaterial oder Sprengstoff beladen wurden. Sie wurden von einem oder zwei Mann auf Kurs gebracht. Ruder und Segel wurden festgestellt. Die Männer zündeten das kleine Boot an und gingen von Bord. Das Schiff fuhr jetzt lichterloh brennend auf eine in einer Bucht festgemachten Flotte feindlicher Schiffe zu. Eine gewisse Anzahl solcher Brander konnte verheerend sein für die unbeweglich da liegende Flotte aus Holzschiffen. Ein ähnliches Szenario könnte man sich in einem Windpark vorstellen: Kleine, billige Boote, mit Sprengstoff beladen und unbemannt, fahren in den Park und explodieren.

Im Zeitalter der Holzschiffe beugte man Brander-Angriffen vor, in dem man die Bucht oder den Hafen mit Tauen abspannte. Auf diese Weise erschwerte man die Annäherung. Wie aber soll das mitten in der Nordsee aussehen? Die Windparks sind zu allen Seiten offen, sie haben keinen schmalen Flaschenhals, wie so viele Häfen, den man versperren könnte. Die Schifffahrtsrouten in der Ostsee durchschneiden die Windparks. Wer nicht genau auf seinen Kurs achtet, landet schon aus Versehen mitten in einem Wald aus Stahlriesen und muss sehen, wie er da unbeschadet wieder herausfindet.

Es ist also für eine entschlossene feindliche Macht sehr leicht, in die Windparks zu kommen. Per Definition liegen Offshore-Anlagen fern ab der Küste, weit jenseits der 12-Meilen-Zone. Sie sind daher militärisch schwer zu schützen, aber leicht zu attackieren.

Billige Schläge ohne Zivilisten zu gefährden


Wenn sich nun eine feindliche Macht für einen Angriff entschließt, wie könnte sie den maximalen Schaden erzielen? Ein explodierendes Boot aufs Geratewohl in ein Windpark zu schicken, wäre nicht effizient. Die Windräder stehen um die 500 Meter weit auseinander. Die Explosion könnte ein oder zwei Windräder zerstören, die Wrackteile könnten im Umkreis vielleicht drei bis vier weitere beschädigen. Aber so ein Windpark hat meist um die 80 Windkrafträder. Ein Boot mit Sprengstoff gegen die Windkrafträder selbst zu schicken, ist also nicht effizient.

Ein effizienterer Angriff wäre ein Anschlag auf eine der Umspannplattformen und Netzanbindungsstellen, sozusagen die Knotenpunkte eines Windparks. Diese Plattformen sind weithin als solche erkennbar. Ihre Koordinaten sind aus Gründen der Verkehrssicherheit öffentlich zugänglich. Ein „Brander“ mit GPS könnte im Autopilot leicht zu einer entsprechenden Position gebracht werden. Oder ein feindliches Kriegsschiff könnte, in der Nordsee liegend, die Knotenpunkte unter Beschuss nehmen. Denkbar wäre auch eine Unterbrechung der Seekabel am Meeresgrund, etwa durch Taucher.

Konverterplattform, Quelle: Offshore-Stiftung

Das Ausschalten der Offshore-Anlagen würde Deutschland einer Energiequelle berauben. Und anders als die Bombardierung eines konventionellen Kohlekraftwerks oder gar eines Atomkraftwerks, gäbe es höchstwahrscheinlich keine zivilen Opfer zu beklagen, wenn nicht gerade eine Wartungsmannschaft im Schussfeld steht. Eine feindliche Macht könnte, ohne Zivilisten zu töten, eine Energiequelle ausschalten. Das senkt die moralischen und politischen Kosten in einem Konflikt. Schnell ist ein Teil der Stromerzeugung Deutschlands ausgeschaltet, ohne dass ein Deutscher sein Leben lassen musste. Das macht einen Angriff auf die Offshore-Anlage zu einem geeigneten Druckmittel in einem sich verschärfenden, aber noch nicht gewaltvollen Konflikt.

Doch wie weh würde Deutschland ein solcher Angriff auf die Offshore-Anlagen tun? Welchen Schaden könnte solch ein Angriff ausrichten, abgesehen vom wirtschaftlichen Schaden? Wie groß wäre die Einbuße an Stromerzeugungskapazitäten? Den zweiten Teil der Überlegung finden Sie hier an gleicher Stelle, zur gleichen Zeit, am Freitag, den 12.12.!

Tim Bergmann studiert im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit Schwerpunkt auf Sicherheitspolitik. Zuvor studierte er Politikwissenschaft und Geschichte in Dresden.

Montag, 8. Dezember 2014

Maritime Sicherheitsolympiade

Sportliche Großveranstaltungen und sicherheits-politische Fragen gehören mittlerweile fest zusammen. Das gilt auch und gerade für die Olympischen Spiele. Der olympische Geist dient heute nicht mehr allein der Völkerverständigung, sondern ist auch ein begehrtes Werbeinstrument, insbesondere weil eine gewaltige und globale mediale Aufmerksamkeit garantiert ist. Wenn die ganze Welt hinsieht, ist dies immer auch eine günstige Gelegenheit für politische Gruppen ihre eigenen Botschaften an ein möglichst breit gestreutes Publikum zu bringen und dazu gehören heute leider auch Terroristen.

Deutschland musste dies 1972 leidvoll erfahren, als ein palästinensisches Terrorkommando eine Gruppe israelischer Olympioniken als Geiseln nahm und in der Folge elf Geiseln, ein Polizist und fünf Terroristen ihr Leben verloren. Auch wenn die Geschichte der Austragung Olympischer Spiele in Deutschland bisher kein Ruhmesblatt war (von den 1936 in Deutschland ausgetragenen Spielen ist in der kollektiven Erinnerung nicht viel mehr als Riefenstahl-Ästhetik übrig geblieben), will man 2024 einen neuen Versuch wagen.

2024 ist noch ein Jahrzehnt entfernt, dennoch muss man kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass auch hier das Thema Sicherheit eine zentrale Rolle spielen wird – gerade in Deutschland. Eine Katastrophe wie 1972 darf sich nicht noch einmal ereignen und man darf vermuten, dass eine deutsche Bewerbung vor allem auch in dieser Hinsicht auf den Prüfstand gestellt werden wird. 
Mit Sportereignissen von Weltformat hat man in Deutschland mittlerweile allerdings viel Erfahrung gesammelt. Das Sommermärchen der Fußball-WM 2006 läßt sich als eines der Beispiele dafür anführen, dass man in Deutschland phantastische und vor allem sichere Spiele durchführen kann. Viel Know-How lässt sich neben "König Fußball" auch aus den vielen anderen Sportveranstaltungen oder gesellschaftlichen Großereignissen ziehen, so dass Veranstaltungen mit mehreren 10.000 Zuschauern und Teilnehmern heute ein beherrschbares Problem darstellen. Beste Voraussetzungen also für die deutsche Olympia-Bewerbung?

Zugegeben, bei Veranstaltungen an Land hat man viel Erfahrung, viel Technik und im Bedarfsfall auch genug Personal, um im Rahmen der Verhältnisse sichere Spiele gewährleisten zu können.
Die Olympischen Spiele haben allerdings noch eine zweite Komponente, für die sich der Erfahrungsschatz eher in Grenzen hält. An die Bewerber Hamburg und Berlin haben sich auch Kiel, Lübeck und Rostock-Warnemünde zur Ausrichtung der Olympischen Segelwettbewerbe angehängt. Sie alle werben mit Ihrer langen Erfahrung bei großen Segelsportereignissen, doch die sind, was das Thema Sicherheit anbelangt, kaum mit den herkömmlichen sportlichen Großereignissen vergleichbar. Sicherlich ist die Kieler Woche sowohl das größte Volksfest Norddeutschlands als auch eines der größten Segelevents der Welt, aber beim Thema Sicherheit konzentriert man sich hier vor allem auf die Landseite.


49er vor Weymouth 2012 (Bildquelle: Wikimedia.org)

Das dürfte bei einer olympischen Veranstaltung allerdings anders aussehen. Denn hier wären vor allem auch die Teilnehmer selbst, also die Segler, ein gefährdetes Anschlagsziel, weil hier die Verknüpfung mit dem „Markenzeichen Olympia“ am größten wäre. Das musste man ja auch 1972 in München feststellen. Sicherlich führen die Olympischen Segelwettbewerbe eher ein Schattendasein was ihre öffentliche Wahrnehmung anbelangt – sind sie doch eher begrenzt publikumswirksam und damit höchstens ein Ausweichziel. Aber sie sind immer noch Teil der Gesamtolympiade, vor allem auch medial und weisen damit ebenfalls ein hohes Gefährdungspotential auf.
Wenn also die Hauptveranstaltungen an Land zu stark gesichert sind, könnte es Versuche geben, stattdessen die Segelwettbewerbe ins Ziel zu nehmen. Derartige Befürchtungen hat es auch 2012 bei den Olympischen Spielen in London, bzw. den Austragungsorten des Segelsports vor Weymouth gegeben – glücklicherweise ohne einen Anschlag. Dennoch waren die Sicherheitsvorkehrungen hier immens.
Das Problem der Spiele auf dem Wasser ist, dass es kaum vergleichbare Sportereignisse dieser Größe gibt. Es ist also gerade in dieser Hinsicht auch nur wenig Know-How vorhanden. Umso wichtiger ist es, alle vorhandenen Ressourcen zu mobilisieren. Das ist 2012 in London/Weymouth und 2008 in Peking/Qingdao vor allem dadurch geschehen, dass man den Polizeikräften eine starke Unterstützung seitens der jeweiligen Marine zur Seite gestellt hat. In und um Weymouth etwa unterstützen mehr als 1000 Angehörige der Streitkräfte die Polizei allein bei der Absicherung der Olympischen Segelregatten.

Die würden in Deutschland ebenfalls nicht auf hoher See stattfinden, sondern auf den bewährten Regattabahnen, die man auch für andere Segelereignisse nutzt – und die liegen direkt in den deutschen Küstengewässern. Ein Einsatz deutscher Streitkräfte im Inneren, auch im verfassungsrechtlich erlaubten Wege der Amtshilfe, ist hierzulande allerdings ein sehr heikles Thema. Kriegsschiffe bei der Kieler Woche sind ein willkommener Teil der Folklore, die Absicherung eines Großereignisses hat aber eine ganz andere Qualität und würde von der deutschen Öffentlichkeit auch ganz anders bewertet werden. Militär im Bereich der inneren Sicherheit löst ein in dieser Form sicher einmaliges nationales Unbehagen aus. Während die Stationierung des über 170 Meter langen amphibischen Landungsschiffes „Bulwark“ (u.a. als Kommandozentrale) vor der englischen Küste auch dem kollektiven Sicherheitsgefühl dienlich war, dürfte ein entsprechend sichtbares Aufgebot vor der deutschen Küste – diplomatisch gesprochen – einige kritische Diskussionen auslösen. Allerdings hat gerade im Bereich der maritimen Sicherheit die Deutsche Marine Fähigkeiten und Technologien, die den maritimen Polizeikräften aufgrund ihres alltäglichen Einsatzspektrums nicht oder nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, etwa was die Anzahl an nötigen Wasserfahrzeugen anbelangt.


HMS "Bulwark" (Bildquelle: Wikimedia.org)

Darüber hinaus stellt sich auch die Frage des personellen Aufwandes. Eine „Bereitschafts-polizei See“ gibt es nicht, sie wird im Alltag auch nicht gebraucht. Bei den Olympischen Spielen müssen zum einen Gefahren von See, etwa für Besucher-Areale, Hafenanlagen und Unterkünfte abgewehrt werden können, das zeigten etwa die Terrorangriffe auf Mumbai 2008. Andererseits muss aber auch die Sicherheit auf See, beispielsweise für die Teilnehmer auf den Regattabahnen, die Betreuer oder die Begleitschiffe mit Zuschauern gewährleistet sein. Erschwerend kommt hinzu, dass die Sportareale in allen Städten in der Nähe von Schifffahrtsstraßen liegen. Besonders Kiel ist mit der Zufahrt zum Nord-Ostsee-Kanal, der weltweit meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße, betroffen. Hier liegen die Wettkampf-Areale in direkter Nachbarschaft zum Fahrwasser. Denkbar sind nicht nur Unfälle aufgrund eines deutlich stärkeren Verkehrsaufkommens (Schaulustige aus aller Welt mit eigenen Booten), sondern im Extremfall auch ein Anschlag z.B. mit einem entführten Fracht- oder gar Tankschiff. Die Umsetzung eines solchen terroristischen Vorhabens ist zwar durch nachrichtendienstliche und polizeiliche Ermittlungen im Vorfeld, die Verkehrs-Überwachung oder die Lotsen-Pflicht eher unwahrscheinlich, aber auch nicht völlig unmöglich. Anschläge auf Hochhäuser mit Verkehrsflugzeugen hätte man am Vorabend des 11. Septembers 2001 auch noch für ausgeschlossen gehalten. 

In allen genannten Fällen kann die Marine der Polizei ergänzende Unterstützung leisten. Im Bereich der Seeraumüberwachung, mit Waffentauchern zur Erkennung und Beseitigung von Sprengsätzen unter Wasser oder mit Spezialkräften wie den Kampfschwimmern zur Befreiung entführter Schiffe (auch wenn dies verfassungsrechtlich sicher der heikelste Punkt wäre), um nur einige zu nennen.
Es zeigt sich also, dass sich gerade die deutschen Bewerber mit einer schweren Abwägung auseinandersetzen müssen. Wer den Olympischen Spielen in Deutschland die maximale Sicherheit garantieren will, der wird insbesondere für die Segelwettbewerbe nicht auf die Mithilfe der Marine verzichten können. Ein Debakel wie 1972 kann man sich auf keinen Fall erlauben. Im Gegenteil wird man bereits im Vorfeld klar stellen müssen, dass man gewillt ist, alles zu tun, um sichere Spiele zu gewährleisten.
Andererseits muss man für dieses Unterfangen die Bevölkerung rechtzeitig einbinden. Nicht nur, um die immensen finanziellen Kosten für die Sicherheit der Spiele zu rechtfertigen, sondern auch die politischen Kosten, die aus der Kritik an der Beteiligung der Bundeswehr erwachsen werden, selbst wenn dies im Wege der Amtshilfe passiert. Gerade hier müssen die Vorbehalte rechtzeitig und offen diskutiert werden, um den erforderlichen Spagat bewerkstelligen zu können und die Bevölkerung „mit ins Boot“ zu holen.

Den Traum von einer dritten Ausrichtung Olympischer Spiele in Deutschland können nicht nur Terroristen sprengen. Er kann auch dadurch scheitern, dass die Bevölkerung nicht gewillt ist, die finanziellen und politischen Kosten mitzutragen. Das ließ sich 2013 beim Bürgerentscheid zur Münchener Bewerbung für die Olympischen Winterspielen 2022 bereits anschaulich beobachten.



Knut Kollex studiert Politikwissenschaft, schleswig-holsteinische und nordeuropäische Geschichte an der CAU Kiel. Zu seinen Interessenschwerpunkten zählen - neben maritimen Themen - Fragen der Staatlichkeit und die Analyse politischer Risiken.