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Ikone britischer Seemacht:
Restaurierte
HMS „Victory“
(Bildquelle: wikimedia.org)
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Für
die traditionsreiche britische Marine etwa gehört hierzu sicherlich
das Herausstellen bedeutender Siege und ihrer Helden, wie etwa
Admiral Lord Nelson und die Seeschlacht von Trafalgar oder der
Entdecker, Weltumsegler und Freibeuter Sir Francis Drake. Die
Pflege dieser Tradition zeigt auch den eigenen maritimen Anspruch:
Wahrung globaler Seemacht und weltweite Sicherung maritimer
Interessen. Auch wenn das Vereinigte Königreich immer größere
Schwierigkeiten hat, diesen Anspruch finanzieren zu können, leistet
man sich nach wie vor ein beeindruckendes Arsenal, zu dem u.a.
Flugzeugträger und Atom-Uboote gehören.
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Traditionspflege seit 1797:
USS „Constitution“
(Bildquelle: wikimedia.org)
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Auch
die einzig wirkliche globale Marine, die US Navy, pflegt in diesem
Sinne ihre Traditionen, wenn sie auch nicht so weit zurück reichen
wie die des britischen Empires. Dazu
gehören die Auseinandersetzungen mit der britischen Krone,
insbesondere im Krieg von 1812, aber ebenso die Seeschlachten des
zweiten Weltkrieges, vor allem das Drama um den japanischen Angriff
auf Pearl Harbour 1941. Auch
hier geht es um den globalen Anspruch, die eigene Heimat, aber auch
die Interessen der USA und ihrer Verbündeten zu schützen, was aus
amerikanischer Sicht präventive oder gar offensive Aktionen
rechtfertigen könne.
Die Deutsche Marine tut sich mit ihrer Traditionspflege deutlich
schwerer. Das liegt zum einen an der kurzen uneingeschränkt
„deutschen“ Marinegeschichte – wurde Deutschland doch erst mit der
Gründung des Kaiserreiches 1871 zu einem Staat in unserem heutigen
Verständnis. Zum anderen können sich die deutschen Seestreitkräfte
zur Traditionspflege meist nur auf zweifelhafte militärische Erfolge
aus zwei Weltkriegen berufen, zumindest wenn man den herkömmlichen
Traditionsansätzen folgt. Dies kann aber allein schon angesichts der
vielen Opfer weder dem deutschen Staat, noch der Deutschen Marine zur
Ehre gereichen. Die
Versuche, dennoch eine Traditionslinie aufzubauen, wirken deshalb
eher unbeholfen und sind wenig überzeugend. So wird etwa die
deutsche Reichs-Flotte von 1848 zur Traditionsbildung herangezogen,
obwohl sie nur sehr kurz Bestand hatte, kaum Erfolge vorweisen konnte
und (rechtlich) nie wirklich die Flotte eines deutschen
Gesamt-Staates war.
Auch
die Benennung dreier deutscher Lenkwaffenzerstörer in den 1960er
Jahren nach „Kriegshelden“ des zweiten Weltkrieges (Rommel,
Lütjens, Mölders) sind überaus unglücklich und würden in der
heutigen deutschen Marinepolitik wohl keine Nachahmung mehr finden.
Offenbar hatte man gehofft, mit diesen drei Namen militärische
Erfolge vom politischen System des Nationalsozialismus entkoppeln zu
können, was angesichts des umfassenden Charakters des NS-Systems und
der beinahe schon zwangsläufigen Verstrickung ihrer „Kriegshelden“
von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
Alternativ
behalf man sich, indem man Schiffe nach Bundesländern, Städten oder
Gemeinden benannte, was aber angesichts der teilweise äußerst
geringen Verbindung zu maritimen Themen (z.B. „Bayern“ oder
„Ensdorf“) bei der Schaffung einer deutschen Marinetradition kaum
hilfreich war.
Dennoch
hat man die Versuche, die Marine in eine traditionelle Linie zu
bringen, noch nicht völlig aufgegeben. Mit der Zusammenlegung
infanteristischer Komponenten der Marine (Marinesicherungskräften,
Boardingkräften, Minentauchern und einer neuen
Küsteneinsatzkompanie) unter dem Namen „Seebataillon“ im April 2014, knüpfte man an Traditionen der Kaiserlichen Marine an, die
einst selbst mehrere „Seebataillone“ besaß. Aber auch hier wird
man sich kritischen Nachfragen stellen müssen, denn die kaiserlichen
„Seebataillone“ haben aufgrund ihrer Rolle bei der
Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstandes und anschließender
Strafaktionen mit zehntausenden vor allem zivilen Opfern zwar eine
weiße Uniform, aber sicher keine weiße Weste vorzuweisen.
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Comeback des Hurra-Patriotismus? Das
"Seebataillon" 1900 in China
("Germans to the front", Carl Röchling 1905) |
„Ruhmreiche“Alternativen
zum Boxeraufstand finden sich für die „Seebataillone“ allerdings
kaum, womit sich die Frage stellt, ob es tatsächlich diese Form der
Tradition ist, die man pflegen will und ob man sich hier wirklich
einen Gefallen getan hat. Die Herausstellung einer Tradition der Deutschen Marine wirkt insgesamt also wie ein schlecht vernähter Flickenteppich.
Sollte Deutschland besser ganz auf eine maritime Traditionspflege verzichten?
Interessant
ist, dass man Streitkräfte in Deutschland immer noch mit der Brille
des preußischen Militarismus betrachtet. Anders ist es kaum
erklärbar, dass (aus Sicht der Deutschen Marine) die deutsche
Marinegeschichte mit der brandenburgisch-preußischen Flotte im
frühen 17. Jahrhundert beginnen soll. Ein kurzer Blick auf die Karte
der Weltgeschichte zeigt nämlich, dass zu dieser Zeit
Brandenburg-Preußen gar keine Gebiete besaß, die sowohl an der
Küste, als auch im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation lagen, also streng genommen gar keinen direkten deutschen
Bezug haben.
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Marinetradition à la Deutsche
Marine: Die Geschichte soll mit Preußen beginnen
(Bildquelle: marine.de)
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Dabei
gab es doch vorher schon eine bedeutende Seemacht in Deutschland,
deren Schiffe als Nachbau auch heute bei keiner maritimen
Großveranstaltung fehlen dürfen und deren Traditionen in vielen
zivilen Bereichen eine ungebrochene Popularität genießen: Die
Hanse.
Auch
wenn sie kein Staat in unserem heutigen Verständnis war und man sich
wohl auch schwer tun müsste, sie überhaupt als Staatenbund zu
verstehen, war sie faktisch doch eine wichtige Großmacht im Nord-
und Ostseeraum des Mittelalters. Zwar war den Menschen des
Mittelalters der nationale Begriff fremd, dennoch war die Hanse in
erster Linie ein Verbund niederdeutscher Städte, auch wenn diese
heute in verschiedenen Ländern Europas liegen. Insoweit kann man die
Hanse schon als eine „deutsche“ Einrichtung verstehen und man
könnte sie daher durchaus im Hinblick auf eine deutsche
Marinetradition betrachten.
Insbesondere
hat sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber Kaiserreich und
Nazi-Deutschland: Sie kommt im Hinblick auf ihre Interessen und ihrer
Vorgehensweise denen der Bundesrepublik Deutschland deutlich näher:
Als was lässt sich der Interessenverbund Hanse denn anderes
verstehen wenn nicht als ein System kollektiver Sicherheit? Wenn
Deutschland in sicherheitspolitischer Hinsicht heute nichts mehr
alleine, sondern nur noch im Verbund mit Partnerländern machen will
und kann, drängt sich der Vergleich mit der Hanse ja geradezu auf.
In vielfacher Hinsicht basierte der Erfolg der Hanse darauf, dass man
zusammen arbeitete und sich jede Hansestadt nach ihren Möglichkeiten
und Interessen beteiligte.
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Hat auch Seeschlachten im Portfolio:
Hansegeschichte,
hier: Eroberung der schwedischen
„Makellos“
durch die Lübecker 1564 (Hans Bohrdt,
1901)
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Auch
die maritimen Herausforderungen der Hansezeit sind vergleichbar. Es
ging um die Sicherheit der Seewege, die etwa durch Piraterie bedroht
waren, es ging aber auch um die Freiheit der Seewege, die an den
„choke points“ wie etwa dem Öre-Sund zwischen Seeland und
Schonen Ursache zahlreicher Interessenkonflikte und Kriege war. Wollte
man im Verbund mehrerer Hanse-Städte agieren, vereinbarte man vorher
penibel, welche Stadt welches Aufgebot zu stellen hatte, im
NATO-Jargon würde man heute wohl von „pooling and sharing“
sprechen.
Den
Einsatz einer eigenen „Hanse-Marine“ gab es im Mittelalter
allerdings nie (erst ab dem 17. Jahrhundert besaßen Städte wie
Hamburg eigene „Convoi-Schiffe“). Im Bedarfsfall wurden Schiffe
kurzfristig gekauft oder gechartert, die ursprünglichen Eigner
agierten oft im Auftrag der jeweiligen Hansestädte. Sicherheit war
also in der Regel eine privatisierte Angelegenheit, nicht nur in den
Hansestädten, sondern auch in den europäischen Königreichen. Das
führte nicht selten zu Problemen, etwa wenn Konflikte beendet waren,
die beauftragten Freibeuter aber Geschmack an ihrer Tätigkeit
gefunden hatten und ihr Werk einfach weiter trieben. So kosteten
beispielsweise die Piraten um Klaus Störtebeker und Gödeke Michels
die Hanse einen erheblichen Aufwand, bis man ihrem Treiben endlich
ein Ende setzen konnte. Ein Problem, das Simone Ludewig auch für unsere Zeit,
nämlich mit den privaten Sicherheitsdiensten und ihren „Floating
Armories“ im indischen Ozean heraufziehen sieht. Dennoch
war die Hanse einer der einflussreichsten Akteure im nordeuropäischen
Raum, der es gelang, in fast allen großen und kleinen Konflikten
ihre Interessen durchzusetzen. Der
Erfolg der Hanse basierte vor allem auf ihrer Seemacht und ihr
Hinterland war wirtschaftlich von den Transportwegen abhängig.
Im
Niedergang der Hanse zeigt sich, wie sehr sich Meer und Land in
Fragen der Sicherheitspolitik bedingen. Mit dem Ausbau
landesherrlicher Macht im deutschen Reich ging nach und nach der
Einfluss auf das wirtschaftlich wichtige Hinterland und damit die
Marktmacht der seewärtigen Hansestädte verloren. Damit schwand auch
die Seemacht gegenüber den aufstrebenden Seefahrernationen wie etwa
den Niederlanden, England oder Frankreich – auch wenn Städte wie
Hamburg und Lübeck noch lange Zeit eine wichtige Rolle auf den
internationalen Seewegen spielten und die Traditionen der Hanse eine
ganze Weile fortsetzen konnten.
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Die Hamburger „Bunte Kuh“ soll
Klaus
Störtebeker zur Strecke gebracht
haben.
Tatsächlich war sie ein deutlich
kleineres,
einmastiges Schiff (Hans Bohrdt, 1901)
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Es
zeigen sich also vielfältige Anknüpfungspunkte und -möglichkeiten
der heutigen Deutschen Marine zu einer Hansetradition. Dennoch sollen
auch die Schattenseiten nicht verborgen werden. So agierte die Hanse
oftmals stark machtpolitisch, setzte ihre Interessen und ihre
Monopole rücksichtslos durch und profitierte erheblich von der
gewaltsamen Eroberung des Baltikums durch (meist) deutsche
Kreuzfahrer. Sie war also nicht immer nur der Verbund friedlicher
Händler, als den man sie in heutigem Verständnis gerne sieht. Auch
wurde etwa in der wilhelminischen Kaiserzeit versucht, die Hanse als
traditionsstiftendes Element für eine deutsche Flottenpolitik zu
nutzen. Diese Versuche muteten aber ähnlich hilflos und unausgegoren
an wie die der Deutschen Marine heute: Weil die kleinen und
einmastigen hansischen Koggen des Mittelalters im Vergleich zu den
großen traditions-stiftenden, hochseetauglichen Dreimastern der
englischen oder niederländischen Seestreitkräfte des 17. und 18.
Jahrhunderts weniger eindrucksvoll waren, wurden sie von deutschen
Marinemalern wie Hans Bohrdt teils erheblich ausgeschmückt. Sie
wurden mit zusätzlichen Masten ausgestattet und deutlich größer
dargestellt als sie eigentlich waren. Denn zu den gewaltigen
Rüstungsvorhaben des Kaiserreiches passten die kleinen, vor allem
kosteneffizienten Schiffe der Hansezeit eigentlich gar nicht. Sie
würden viel eher in die haushaltspolitischen Vorgaben und Probleme
unserer Zeit passen.
Flaggschiff „Hansa“ der
Reichsmarine
von 1848 als späteres Postschiff
(zeitgenössische Postkarte)
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Geschichtsbilder
lassen sich nie vollständig von einer Zeit in die andere übertragen.
Dennoch bietet gerade die Hanse eine ganze Palette an Parallelen zu
den Aufgaben und Herausforderungen maritimer deutscher
Sicherheitspolitik und damit einen deutlich besseren Ansatz, wenn man
eine Marinetradition finden möchte. Insofern
ist es verwunderlich, dass die Deutsche Marine den „hanseatischen“
Traditionsansatz nicht auf dem Radarschirm hat bzw. ihn nicht
konsequenter verfolgt. Bei
der deutschen Flotte von 1848 war man da schon etwas weiter: Ihr
Flaggschiff trug den bezeichnenden Namen „Hansa“.
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