Sonntag, 21. Dezember 2014

Deutsche Marinetradition - Ein tückisches Gewässer


In manchen Bereichen der Sicherheitspolitik ist der rote Faden einer Strategie bisweilen etwas schwammig formuliert. Maritime Sicherheit ist ein Bereich, in dem es hilfreich sein kann, das Bild des roten Fadens dadurch zu schärfen, indem man einen Blick auf die Marinetradition wirft. Interessant ist, welche historischen Aspekte in den Vordergrund gestellt werden und wie man sie pflegt. Denn häufig bedingt das, was man hat, das was man im Bereich der maritimen Sicherheit tut (bzw. leisten kann). Traditionen bestimmen die Rolle, in der sich eine nationale Marine sieht und beeinflusst so auch die Richtung technischer Entwicklungen, die wiederum in der Zukunft Auswirkungen auf das mögliche Einsatzspektrum haben kann.

Ikone britischer Seemacht: 
Restaurierte HMS „Victory“
(Bildquelle: wikimedia.org)
Für die traditionsreiche britische Marine etwa gehört hierzu sicherlich das Herausstellen bedeutender Siege und ihrer Helden, wie etwa Admiral Lord Nelson und die Seeschlacht von Trafalgar oder der Entdecker, Weltumsegler und Freibeuter Sir Francis Drake. Die Pflege dieser Tradition zeigt auch den eigenen maritimen Anspruch: Wahrung globaler Seemacht und weltweite Sicherung maritimer Interessen. Auch wenn das Vereinigte Königreich immer größere Schwierigkeiten hat, diesen Anspruch finanzieren zu können, leistet man sich nach wie vor ein beeindruckendes Arsenal, zu dem u.a. Flugzeugträger und Atom-Uboote gehören.
Traditionspflege seit 1797:
USS „Constitution“
(Bildquelle: wikimedia.org)
Auch die einzig wirkliche globale Marine, die US Navy, pflegt in diesem Sinne ihre Traditionen, wenn sie auch nicht so weit zurück reichen wie die des britischen Empires. Dazu gehören die Auseinandersetzungen mit der britischen Krone, insbesondere im Krieg von 1812, aber ebenso die Seeschlachten des zweiten Weltkrieges, vor allem das Drama um den japanischen Angriff auf Pearl Harbour 1941. Auch hier geht es um den globalen Anspruch, die eigene Heimat, aber auch die Interessen der USA und ihrer Verbündeten zu schützen, was aus amerikanischer Sicht präventive oder gar offensive Aktionen rechtfertigen könne.

Die Deutsche Marine tut sich mit ihrer Traditionspflege deutlich schwerer. Das liegt zum einen an der kurzen uneingeschränkt „deutschen“ Marinegeschichte – wurde Deutschland doch erst mit der Gründung des Kaiserreiches 1871 zu einem Staat in unserem heutigen Verständnis. Zum anderen können sich die deutschen Seestreitkräfte zur Traditionspflege meist nur auf zweifelhafte militärische Erfolge aus zwei Weltkriegen berufen, zumindest wenn man den herkömmlichen Traditionsansätzen folgt. Dies kann aber allein schon angesichts der vielen Opfer weder dem deutschen Staat, noch der Deutschen Marine zur Ehre gereichen. Die Versuche, dennoch eine Traditionslinie aufzubauen, wirken deshalb eher unbeholfen und sind wenig überzeugend. So wird etwa die deutsche Reichs-Flotte von 1848 zur Traditionsbildung herangezogen, obwohl sie nur sehr kurz Bestand hatte, kaum Erfolge vorweisen konnte und (rechtlich) nie wirklich die Flotte eines deutschen Gesamt-Staates war.
Auch die Benennung dreier deutscher Lenkwaffenzerstörer in den 1960er Jahren nach „Kriegshelden“ des zweiten Weltkrieges (Rommel, Lütjens, Mölders) sind überaus unglücklich und würden in der heutigen deutschen Marinepolitik wohl keine Nachahmung mehr finden. Offenbar hatte man gehofft, mit diesen drei Namen militärische Erfolge vom politischen System des Nationalsozialismus entkoppeln zu können, was angesichts des umfassenden Charakters des NS-Systems und der beinahe schon zwangsläufigen Verstrickung ihrer „Kriegshelden“ von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
Alternativ behalf man sich, indem man Schiffe nach Bundesländern, Städten oder Gemeinden benannte, was aber angesichts der teilweise äußerst geringen Verbindung zu maritimen Themen (z.B. „Bayern“ oder „Ensdorf“) bei der Schaffung einer deutschen Marinetradition kaum hilfreich war.
Dennoch hat man die Versuche, die Marine in eine traditionelle Linie zu bringen, noch nicht völlig aufgegeben. Mit der Zusammenlegung infanteristischer Komponenten der Marine (Marinesicherungskräften, Boardingkräften, Minentauchern und einer neuen Küsteneinsatzkompanie) unter dem Namen „Seebataillon“ im April 2014, knüpfte man an Traditionen der Kaiserlichen Marine an, die einst selbst mehrere „Seebataillone“ besaß. Aber auch hier wird man sich kritischen Nachfragen stellen müssen, denn die kaiserlichen „Seebataillone“ haben aufgrund ihrer Rolle bei der Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstandes und anschließender Strafaktionen mit zehntausenden vor allem zivilen Opfern zwar eine weiße Uniform, aber sicher keine weiße Weste vorzuweisen.

Comeback des Hurra-Patriotismus? Das "Seebataillon" 1900 in China
("Germans to the front", Carl Röchling 1905)

„Ruhmreiche“Alternativen zum Boxeraufstand finden sich für die „Seebataillone“ allerdings kaum, womit sich die Frage stellt, ob es tatsächlich diese Form der Tradition ist, die man pflegen will und ob man sich hier wirklich einen Gefallen getan hat. Die Herausstellung einer Tradition der Deutschen Marine wirkt insgesamt also wie ein schlecht vernähter Flickenteppich.

Sollte Deutschland besser ganz auf eine maritime Traditionspflege verzichten?
Interessant ist, dass man Streitkräfte in Deutschland immer noch mit der Brille des preußischen Militarismus betrachtet. Anders ist es kaum erklärbar, dass (aus Sicht der Deutschen Marine) die deutsche Marinegeschichte mit der brandenburgisch-preußischen Flotte im frühen 17. Jahrhundert beginnen soll. Ein kurzer Blick auf die Karte der Weltgeschichte zeigt nämlich, dass zu dieser Zeit Brandenburg-Preußen gar keine Gebiete besaß, die sowohl an der Küste, als auch im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lagen, also streng genommen gar keinen direkten deutschen Bezug haben.


Marinetradition à la Deutsche Marine: Die Geschichte soll mit Preußen beginnen
(Bildquelle: marine.de)


Dabei gab es doch vorher schon eine bedeutende Seemacht in Deutschland, deren Schiffe als Nachbau auch heute bei keiner maritimen Großveranstaltung fehlen dürfen und deren Traditionen in vielen zivilen Bereichen eine ungebrochene Popularität genießen: Die Hanse.
Auch wenn sie kein Staat in unserem heutigen Verständnis war und man sich wohl auch schwer tun müsste, sie überhaupt als Staatenbund zu verstehen, war sie faktisch doch eine wichtige Großmacht im Nord- und Ostseeraum des Mittelalters. Zwar war den Menschen des Mittelalters der nationale Begriff fremd, dennoch war die Hanse in erster Linie ein Verbund niederdeutscher Städte, auch wenn diese heute in verschiedenen Ländern Europas liegen. Insoweit kann man die Hanse schon als eine „deutsche“ Einrichtung verstehen und man könnte sie daher durchaus im Hinblick auf eine deutsche Marinetradition betrachten.
Insbesondere hat sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber Kaiserreich und Nazi-Deutschland: Sie kommt im Hinblick auf ihre Interessen und ihrer Vorgehensweise denen der Bundesrepublik Deutschland deutlich näher: Als was lässt sich der Interessenverbund Hanse denn anderes verstehen wenn nicht als ein System kollektiver Sicherheit? Wenn Deutschland in sicherheitspolitischer Hinsicht heute nichts mehr alleine, sondern nur noch im Verbund mit Partnerländern machen will und kann, drängt sich der Vergleich mit der Hanse ja geradezu auf. In vielfacher Hinsicht basierte der Erfolg der Hanse darauf, dass man zusammen arbeitete und sich jede Hansestadt nach ihren Möglichkeiten und Interessen beteiligte. 

Hat auch Seeschlachten im Portfolio: Hansegeschichte,
hier: Eroberung der schwedischen „Makellos“
durch die Lübecker 1564 (Hans Bohrdt, 1901)

Auch die maritimen Herausforderungen der Hansezeit sind vergleichbar. Es ging um die Sicherheit der Seewege, die etwa durch Piraterie bedroht waren, es ging aber auch um die Freiheit der Seewege, die an den „choke points“ wie etwa dem Öre-Sund zwischen Seeland und Schonen Ursache zahlreicher Interessenkonflikte und Kriege war. Wollte man im Verbund mehrerer Hanse-Städte agieren, vereinbarte man vorher penibel, welche Stadt welches Aufgebot zu stellen hatte, im NATO-Jargon würde man heute wohl von „pooling and sharing“ sprechen.
Den Einsatz einer eigenen „Hanse-Marine“ gab es im Mittelalter allerdings nie (erst ab dem 17. Jahrhundert besaßen Städte wie Hamburg eigene „Convoi-Schiffe“). Im Bedarfsfall wurden Schiffe kurzfristig gekauft oder gechartert, die ursprünglichen Eigner agierten oft im Auftrag der jeweiligen Hansestädte. Sicherheit war also in der Regel eine privatisierte Angelegenheit, nicht nur in den Hansestädten, sondern auch in den europäischen Königreichen. Das führte nicht selten zu Problemen, etwa wenn Konflikte beendet waren, die beauftragten Freibeuter aber Geschmack an ihrer Tätigkeit gefunden hatten und ihr Werk einfach weiter trieben. So kosteten beispielsweise die Piraten um Klaus Störtebeker und Gödeke Michels die Hanse einen erheblichen Aufwand, bis man ihrem Treiben endlich ein Ende setzen konnte. Ein Problem, das Simone Ludewig auch für unsere Zeit, nämlich mit den privaten Sicherheitsdiensten und ihren „Floating Armories“ im indischen Ozean heraufziehen sieht. Dennoch war die Hanse einer der einflussreichsten Akteure im nordeuropäischen Raum, der es gelang, in fast allen großen und kleinen Konflikten ihre Interessen durchzusetzen. Der Erfolg der Hanse basierte vor allem auf ihrer Seemacht und ihr Hinterland war wirtschaftlich von den Transportwegen abhängig. 
Im Niedergang der Hanse zeigt sich, wie sehr sich Meer und Land in Fragen der Sicherheitspolitik bedingen. Mit dem Ausbau landesherrlicher Macht im deutschen Reich ging nach und nach der Einfluss auf das wirtschaftlich wichtige Hinterland und damit die Marktmacht der seewärtigen Hansestädte verloren. Damit schwand auch die Seemacht gegenüber den aufstrebenden Seefahrernationen wie etwa den Niederlanden, England oder Frankreich – auch wenn Städte wie Hamburg und Lübeck noch lange Zeit eine wichtige Rolle auf den internationalen Seewegen spielten und die Traditionen der Hanse eine ganze Weile fortsetzen konnten.

Die Hamburger „Bunte Kuh“ soll Klaus
Störtebeker zur Strecke gebracht haben.
Tatsächlich war sie ein deutlich kleineres,
einmastiges Schiff (Hans Bohrdt, 1901)
Es zeigen sich also vielfältige Anknüpfungspunkte und -möglichkeiten der heutigen Deutschen Marine zu einer Hansetradition. Dennoch sollen auch die Schattenseiten nicht verborgen werden. So agierte die Hanse oftmals stark machtpolitisch, setzte ihre Interessen und ihre Monopole rücksichtslos durch und profitierte erheblich von der gewaltsamen Eroberung des Baltikums durch (meist) deutsche Kreuzfahrer. Sie war also nicht immer nur der Verbund friedlicher Händler, als den man sie in heutigem Verständnis gerne sieht. Auch wurde etwa in der wilhelminischen Kaiserzeit versucht, die Hanse als traditionsstiftendes Element für eine deutsche Flottenpolitik zu nutzen. Diese Versuche muteten aber ähnlich hilflos und unausgegoren an wie die der Deutschen Marine heute: Weil die kleinen und einmastigen hansischen Koggen des Mittelalters im Vergleich zu den großen traditions-stiftenden, hochseetauglichen Dreimastern der englischen oder niederländischen Seestreitkräfte des 17. und 18. Jahrhunderts weniger eindrucksvoll waren, wurden sie von deutschen Marinemalern wie Hans Bohrdt teils erheblich ausgeschmückt. Sie wurden mit zusätzlichen Masten ausgestattet und deutlich größer dargestellt als sie eigentlich waren. Denn zu den gewaltigen Rüstungsvorhaben des Kaiserreiches passten die kleinen, vor allem kosteneffizienten Schiffe der Hansezeit eigentlich gar nicht. Sie würden viel eher in die haushaltspolitischen Vorgaben und Probleme unserer Zeit passen.

Flaggschiff „Hansa“ der Reichsmarine
von 1848 als späteres Postschiff
(zeitgenössische Postkarte)
Geschichtsbilder lassen sich nie vollständig von einer Zeit in die andere übertragen. Dennoch bietet gerade die Hanse eine ganze Palette an Parallelen zu den Aufgaben und Herausforderungen maritimer deutscher Sicherheitspolitik und damit einen deutlich besseren Ansatz, wenn man eine Marinetradition finden möchte. Insofern ist es verwunderlich, dass die Deutsche Marine den „hanseatischen“ Traditionsansatz nicht auf dem Radarschirm hat bzw. ihn nicht konsequenter verfolgt. Bei der deutschen Flotte von 1848 war man da schon etwas weiter: Ihr Flaggschiff trug den bezeichnenden Namen „Hansa“. 



 
 Knut Kollex studiert Politikwissenschaft, schleswig-holsteinische und nordeuropäische Geschichte an der CAU Kiel. Zu seinen Interessenschwerpunkten zählen - neben maritimen Themen - Fragen der Staatlichkeit und die Analyse politischer Risiken.   









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