Befasst man sich mit der modernen Piraterie, sei es aus
beruflichen oder wissenschaftlichen Gründen, und versucht Zahlen und nähere
Informationen zu aktuellen Vorfällen zu erhalten, dann stößt man fast zwangsläufig
auf die verschiedenen frei zugänglichen Quellen. Obwohl alle den Anspruch
haben, ein aktuelles und genaues Lagebild zu vermitteln, sind die Ergebnisse
doch recht unterschiedlich. Mit diesem Beitrag möchte ich einen Überblick über
vier der Angebote und deren Leistungsspektrum geben, deren Eigenheiten sich
ungeübten Nutzern mitunter erst nach einiger Zeit zeigen. Dabei beschränke ich
mich auf die jeweilige Vermittlung von Informationen zur Piraterielage. Die
Beschreibungen der einzelnen Vorfälle sind in der Regel nicht nur inhalts-
sondern auch wortgleich.
Auf der IMO-Websitefindet sich wohl die umfangreichste Datenbank und bietet zusätzlich eine
nützliche Suchfunktion mit einer breiten Palette an Suchkriterien. Es werden
alle Arten an Vorfällen und alle Weltregionen erfasst. Der Zugang erfordert
jedoch eine einmalige Registrierung. Obwohl hier zu den Vorfällen die
detailreichsten Informationen geboten werden, schleichen sich gelegentlich
kleine Fehler ein. So war z. B. noch bis vor Kurzem der Raubüberfall auf die
MSC MELATILDE in der Statistik zweimal aufgeführt. Leider ist die Statistik
nicht auf dem aktuellsten Stand und es dauert mitunter mehrere Monate bis ein
Vorfall aufgenommen wird. Da die Vorfälle chronologisch geordnet sind, gehen
neue Einträge leicht unter und werden nicht gleich erkannt.
Piraterie-Entwicklung 2005-2010 (Quelle: Wikipedia) |
Beim ICC-CCS werden Berichte am schnellsten online gestellt. Auch hier werden weltweit die
Pirateriefälle erfasst, jedoch noch zusätzlich Sichtungsmeldungen verdächtiger
Fahrzeuge. Mit teilweise täglichen Updates ist dies die aktuellste der hier
beschriebenen Quellen. Die Vorfälle sind in der Reihenfolge wie sie erfasst
wurden, d.h. es lässt sich leicht nachvollziehen, wie lange es braucht, bis ein
Angriff oder ein Raubüberfall registriert wird. Neben einer Weltkarte, auf der
alle Vorfälle des laufenden Jahres farblich codiert eingetragen sind und mit
einem Klick der zugehörige Report aufgerufen werden kann, gibt es diese Karte
auch für das Vorjahr. Damit lassen nicht nur Schwerpunkte leicht erkennen,
sondern auch die Verteilung und Konzentrationen der verschiedenen
Vorfallsarten.
Auf der Homepage des NATO Shipping Centre werden nur Vorfälle aus dem Einsatzgebiet der NATO-Operation Ocean Shieldaufgelistet und auch nur in einem deutlich geringerem Maße, als bei den anderenQuellen. Dies ist womöglich darauf zurückzuführen, dass Fälle erst ab einer
höheren Intensität gewertet werden. Neben einer Karte, auf der aber nur
Angriffe der letzten sieben Tage eingetragen wären, gibt es bei dieser Quelle Übersichtsgrafiken,
die den Verlauf der Piratenaktivitäten der Jahre 2011-2013 nach Monaten und
Vorfallsarten aufschlüsseln.
Das amerikanische ONI stellt jeweils als pdf eine wöchentliche Zusammenfassung der Vorfälle (PiracyAnalysis and Warning Weekly, PAWW) und eine der letzten vier Wochen (DokumentWorld Wide Threat to Shipping, WWTS) zur Verfügung. Leider ist der
Veröffentlichungsrhythmus mitunter sehr unregelmäßig und die PAWWs sind nicht
archiviert. Ein Archiv der WWTS-Berichte findet sich nur über Umwege. Im PAWW werden nach den Gebieten „Horn of Africa“, „Gulf of Guinea“ und
„Southeast Asia“ sortiert die Piraterievorfälle, die Zahl der entführten Schiffe
und eine Wettervorhersage gegeben. Für das Seegebiet Horn von Afrika/Indischer
Ozean gibt’s es neben der reinen Wettervorhersage auch eine grafische
Darstellung der Wahrscheinlichkeit für Piratenbootoperationen. Die Positionen
der Vorfälle sind in Übersichtskarten der einzelnen Seegebiete eingetragen und
zu jedem Gebiet gibt es eine Vergleichstabelle mit den Zahlen verschiedener
Vorfallsarten der jeweiligen Woche, Vorwoche, des Monats und Vormonats der
Jahre 2014-2011. Das WWTS-Dokument basiert weitestgehend auf dem PAWW. Die
Einteilung der geographischen Gebiete ist ein wenig anders und es sind die
Piraterievorfälle aller Weltregionen, also z.B. auch solche aus der Karibik
oder, theoretisch, der Ostsee (Unterpunkt D) aufgelistet. Gelegentlich werden vom
ONI auch Vorfälle verzeichnet, die bei den anderen Diensten nicht vermeldet
werden. In den Anhängen finden sich noch eine Beschreibung zu den verwendeten
Definitionen und eine Auflistung der genutzten Quellen.
Piraterie weltweit (Quelle: Wikipedia) |
Auf eine Beurteilung der einzelnen Seiten verzichte ich an
dieser Stelle, zumal mitunter über bloße Statistiken hinausgehende
Informationen geboten werden. Je nach Anwendungszweck sind einige Kriterien
wichtiger als andere und entsprechend unterscheiden sich die Seiten in ihrem
Nutzen für den Anwender. Vor einem Vergleich der unterschiedlichen Statistiken
ist mitunter eine erhebliche Datenaufbereitung notwendig, da sich die
Definitionen der Vorfallsarten unterscheiden und die Angaben zu einem Vorfall
in Details unterscheiden, die leicht zur Verwirrung führen können.
Beispielsweise kann die Zeit in LT (local time) oder UTC (Universal time,
Coordinated) angeben sein, was je nach Vorfallszeit auch ein anderes Datum
ergibt. Es sei noch erwähnt, dass, so gut die Dienste sein mögen, von einer
hohen Dunkelziffer auszugehen ist.
Tore Wethling hat an der Universität Kiel Politikwissenschaft
studiert. Er arbeitete anschließend zwei Jahre für ein deutsches maritimes Sicherheitsunternehmen
als Analyst und wertete unter anderem Pirateriemeldungen aus.
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