Das 21. Jahrhundert wird oft
als ein „maritimes Jahrhundert“ bezeichnet, da die Weltmeere angesichts des
stetig voranschreitenden Prozesses der Globalisierung zunehmend an Bedeutung
gewinnen. So werden bspw. über 90% der Güter im Welthandel über Seewege
transportiert. Mit der wachsenden Bedeutung der Weltmeere nehmen auch die Herausforderungen
zu, die mit ihnen verbunden sind: Maritimer Terrorismus, Piraterie, illegale
Migration und Menschenhandel über See sowie der Wettlauf um Rohstoffe und
Energie sind hierbei nur einige Beispiele. Diese und andere Herausforderungen
haben in den vergangenen Jahren zunehmend die politischen Agenden von Staaten
und internationalen Organisationen bestimmt. Die Europäische Union (EU) reagierte
angesichts dieser Entwicklung im Juni 2014 mit der Inkraftsetzung der „European
Union Maritime Security Strategy“ (EUMSS). Weniger bekannt ist, dass auch die
Afrikanische Union (AU) zu Beginn dieses Jahres erstmals eine maritime
Strategie beschlossen hat – nachdem das Maritime lange nur eine untergeordnete
Rolle auf der Agenda der AU gespielt hat. Dabei betrachten die Mitgliedsstaaten
der AU die „2050 Africa’s Integrated Maritime Strategy“ (AIMS) und den dazugehörigen
„Plan of Action“ als ein Instrument, um Afrikas maritimen Herausforderungen im
Bereich Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit begegnen zu können. Begleitet
werden soll die neue maritime AU-Strategie durch eine panafrikanische „No-more-sea-blindness“-Kampagne.
Unter anderem wurde im Rahmen dieser der Zeitraum 2015–2025 zur „Dekade der
afrikanischen Seen und Ozeane“ erklärt und der 25. Juli zum „Afrikanischen Tag
der Seen und Ozeane“.
Die AIMS betrachtet die afrikanischen Binnengewässer und die Weltmeere zusammen als zentrale Säule der ökonomischen und sozialen Entwicklung der AU-Mitgliedsstaaten. Voraussetzung für die Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung ist dabei auch die Förderung einer nachhaltigen „blauen Ökonomie“, die den ökologischen Aspekten des maritimen Raums einen hohen Stellenwert zuschreibt. Ziel der AIMS ist die Entwicklung eines umfassenden Verständnisses für bestehende und zukünftige (gemeinsame) Herausforderungen der afrikanischen Staaten im maritimen Raum. Diese Herausforderungen umfassen verschiedene Dimensionen: ökonomisch, ökologisch, sozial sowie die Sicherheits-Dimension. Der Experte für maritime Sicherheit in Afrika, Jan Stockbruegger, betrachtet die AIMS „als einen wichtigen Bestandteil Afrikas maritimer Sicherheitsinfrastruktur und als einen Versuch, eine kohärente afrikanische maritime Sicherheitsgemeinschaft unter der strategischen Führung der AU aufzubauen und zu stärken“. Um die AIMS umzusetzen werden in ihr die Etablierung neuer politischer Konzepte, Agenturen und Koordinationsmechanismen vorgeschlagen. Beispiele für entsprechende Projekte sind die Einrichtung einer gemeinsamen exklusiven afrikanischen maritimen Zone, einer Arbeitsgruppe der Kommandierenden der afrikanischen Marinen und/oder Küstenwachen sowie eines regionalen maritimen Hauptquartiers oder auch der Aufbau eines gemeinsamen afrikanischen Forschungsinstitutes für den maritimen Raum.
Als Bedrohungen im maritimen Raum identifiziert die AIMS insbesondere transnational organisierte Kriminalität; illegale, nicht gemeldete und nicht regulierte Fischerei; Umweltverbrechen, wie die Verklappung von Giftmüll; Naturkatastrophen, Schädigungen der Umwelt sowie den Klimawandel. Unter transnational organisierte Kriminalität subsumiert die AIMS Geldwäsche, illegalen Handel mit Waffen und Drogen, Piraterie und bewaffneten Raub auf See, maritimen Terrorismus sowie Menschenhandel und -schmuggel. Ferner wird in dieser Auflistung auch das häufig an den Küsten der Staaten Westafrikas beobachtbare Problem der illegalen Ölbunkerung und des Rohöldiebstahls genannt – bekanntestes Beispiel hierfür ist das Nigerdelta.
Die Erfahrung zeigt, dass die auf den ersten Blick als regionale Phänomene erscheinenden Herausforderungen im Bereich maritime Sicherheit überregionale Ursachen und Auswirkungen haben können. Ein Beispiel hierfür ist die Piraterie am Horn von Afrika. Zum einen hat die Piraterie in dieser Region globale Auswirkungen; zum anderen wird das Erstarken der dortigen Piraterie in den 2000er Jahren auch darauf zurückgeführt, dass illegale Fischereiaktivitäten sowie die Verklappung von Giftmüll vor den Küsten Somalias den örtlichen Fischern ihre ökonomische Grundlage entzogen hat. Um ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern sind manche dieser Fischer in der Folge auf das „Geschäftsmodell“ Piraterie umgestiegen. Für die illegale Fischerei und die Giftmüllverklappung wurden Wirtschaftsakteure aus Asien aber auch aus Europa verantwortlich gemacht.
Angesichts gemeinsamer Herausforderungen im „maritimen“ 21. Jahrhundert gibt es also viel Potential für den weiteren Auf- und Ausbau enger Koordination und Kooperation zwischen den Regionalorganisationen AU und EU. Eine Zusammenarbeit sollte auf die Lösung bestehender gemeinsamer Probleme und die Etablierung gemeinsamer Präventionsmaßnahmen abzielen. Auf afrikanischer Seite bietet die AIMS hierfür einen guten Ausgangspunkt. Allerdings wird, angesichts der schwachen Ressourcenlage der Staaten auf dem afrikanischen Kontinent, für die Umsetzung der AIMS ohne Zweifel internationale Unterstützung notwendig sein – vor allem finanziell, aber auch im Bereich Know-how. Aus Sicht Europas sollte eine solche Unterstützung als Investition für die Stärkung der eigenen maritimen Sicherheit angesehen werden.
Kai Strell ist Student im Masterstudiengang „Internationale Politik und Internationales Recht“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Schwerpunkte sind humanitäres Völkerrecht und Seerecht sowie Frieden und Sicherheit in Afrika. Herr Strell war studentischer Mitarbeiter des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) und hält Vorträge zur politischen Bildung.
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