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Ein Offizier der
bolivianischen Marine (fuerza naval)
(Quelle:https://www.flickr.com/photos/101436300@N08/9804349623)
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Alljährlich begeht die bolivianische Bevölkerung am 23. März den Tag
des Meeres (día del mar) als Volksfest. Da der gesamte März im Zeichen des
Meeres steht, werden die Bolivianer bereits zu Beginn des Meeresmonats
auf die bevorstehenden Feierlichkeiten eingestimmt: die Zeitungen drucken
regelmäßig Fotos von der Brandung ab, im Fernsehen werden Sondersendungen zu
maritimen Themen ausgestrahlt und in den Schulen setzen die Lehrer die bedeutendsten
Seeschlachten des Landes auf den Stundenplan. Das Kuriose an dieser Tradition?
Neben Paraguay ist Bolivien als einziger Binnenstaat des amerikanischen
Kontinents vom Meer abgeschnitten. So kommt es, dass die bolivianische Marine ihre
Übungen nicht etwa auf der Hohen See, sondern 3800 Meter über dem Meeresspiegel
auf dem Titicacasee durchführt. Hier bereitet sich die höchstgelegene
Marine der Welt auf mögliche militärische Operationen vor und gewährleistet
die Sicherheit auf dem See, durch den die Grenze Boliviens zu Peru verläuft. Auch
in der Amazonasregion zeigt die bolivianische Marine Präsenz: ihre Hauptaufgabe
ist die Unterbindung des Drogenschmuggels auf den Flüssen. Dass auch Binnenstaaten
eine Marine haben, ist nicht weiter ungewöhnlich. Mehr als ein Dutzend Länder
unterhalten trotz fehlenden Meereszugangs durchaus funktionsfähige
Seestreitkräfte, die auf den Binnengewässern patrouillieren. Was den
bolivianischen Binnenstaat jedoch von den anderen unterscheidet, ist der seit
131 Jahren ungebrochene und zum Teil offensiv verfolgte Wunsch den eigenen
Küstenstreifen wiederzuerlangen.
Das nationale Trauma
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Bolivianischer
Marinestützpunkt am Ufer des Titicacasees
(Quelle:https://www.flickr.com/photos/peace-on-earth_org/3102173414)
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Im Zuge des Salpeterkriegs
(1879-1883) gegen Chile mussten Peru und Bolivien erhebliche Gebietsverluste
hinnehmen. Bolivien verlor seine maritime Provinz Antafagosta und musste ein
Territorium von ca. 120.000 Quadratkilometern mit einem 400 Kilometer langen
Küstenstreifen an Chile abtreten. Der Friedensvertrag von 1904 legt den heutigen
Grenzverlauf zwischen den beiden Ländern und die Bedingungen zur Mitbenutzung
der chilenischen Häfen durch Bolivien fest. Trotz eines freien Zugangs zum Pazifik und zahlreicher
Begünstigungen bei der Nutzung der Hafeninfrastruktur, pocht das Land bis
heute auf einen souveränen Meereszugang. Laut Bolivien kam der Vertrag unter
Zwang zustande und bedarf daher einer Totalrevision. Zu weiterem Missmut führte
die Entdeckung gewaltiger Kupfervorkommen in der vormals bolivianischen Region,
die Chile zum weltweit größten Kupferproduzenten machten und für seinen
wirtschaftlichen Aufschwung Ausschlag gebend waren. Bolivien führt seine
demgegenüber relative Unterentwicklung nicht etwa auf die instabilen politischen
Verhältnisse und die Misswirtschaft im eigenen Land zurück, sondern auf den
Verlust des Meereszugangs und der Rohstoffvorkommen der Provinz Antafagosta. Zwar
unterhalten die beiden Länder – mit Ausnahme einer kurzen Annäherungsphase in
den 70-er Jahren – aufgrund dieses Dauerkonflikts seit Jahrzehnten keine
diplomatischen Beziehungen mehr zueinander. Kommunikation in Form von gegenseitigen Anschuldigungen
stellt jedoch keine Seltenheit dar. Trotz wiederholter Zusicherungen seitens
Chiles eine gemeinsame Lösung zu finden und Bolivien einen souveränen
Meereszugang zu gewähren, hat sich bisher nichts
Konkretes getan.
Der Gang vor den IGH
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Könnten bolivianische
Marineübungen auf der Hohen See
bald Realität werden?
(Quelle:https://www.flickr.com/search?text=armada+boliviana)
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Dass diesen Absichtserklärungen
Chiles bisher keine Taten folgten, beanstandete Bolivien und zog 2013 vor den
Internationalen Gerichtshof (IGH). Anders als beim Konflikt
zwischen Chile und Peru geht es bei der bolivianischen Klage
nicht um die Ziehung von Seegrenzen. Es wird auch keine Rückgabe des ehemaligen
Küstenstreifens verlangt. Der IGH wurde von Bolivien dazu aufgefordert, eine
Verpflichtung Chiles festzustellen nach
„Treu und Glauben“ zu verhandeln und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Bolivien hat bei einer erfolgreichen Klage kaum etwas zu gewinnen: selbst wenn
der IGH zugunsten des Landes entscheiden sollte, hat sich Chile lediglich zu
weiteren Verhandlungen bereit zu erklären, muss Bolivien aber keinen souveränen
Meereszugang gewähren. Doch warum wird der hohe Aufwand betrieben, um ein
IGH-Verfahren in die Gänge zu leiten, dessen Urteil keine nennenswerten
Änderungen nach sich ziehen wird? Hinter der bolivianischen Klage wird innenpolitisches
Kalkül vermutet. Es ist durchaus im Sinne der Regierung nationalistische
Gefühle weiter zu schüren, um von den Missständen im Inland abzulenken. Im
Falle einer Zurückweisung der Klage, würde der Plan der bolivianischen
Regierung allerdings nicht aufgehen: die bedeutendste internationale
Rechtsprechungsinstanz würde die bolivianische Forderung nach einem souveränen
Küstenstreifen delegitimieren. Doch egal wie das Verfahren ausgeht: dass die
bolivianische Marine ihre Übungen in absehbarer Zeit auf der Hohen See
durchführen wird, bleibt eine Wunschvorstellung.
Dóra Simon ist Studentin im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit den Schwerpunkten Europäische Integration sowie Völkerstrafrecht.
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