Montag, 17. November 2014

Piraterie vor Westafrika – Die unbekannte Herausforderung



Der US-Kinoerfolg "Captain Phillips" hat im vergangenen Jahr erstmals ein im 21. Jahrhundert zunehmend bedeutendes maritimes Phänomen einem breiteren Publikum näher gebracht: Die moderne Piraterie. Dieser sehenswerte und von Piraterieexperten wegen seiner überzeugenden Darstellung gelobte Film beruht auf einer wahren Begebenheit und handelt von der Entführung des Containerschiffes „Maersk Alabama“ durch somalische Piraten im April 2009. So wie auch die gelegentliche mediale Berichterstattung während der Hochzeit der Piraterie vor den Küsten Somalias bzw. am Horn von Afrika, im Zeitraum zwischen 2008 und 2010, verzerrt der Film allerdings die Wahrnehmung hinsichtlich der Ausmaße der Piraterie.

Tatsächlich bleibt das Phänomen Piraterie nicht allein auf die Region am Horn von Afrika begrenzt. Südostasien und die Region Westafrika sind weitere „Hot Spots“ der Piraterie. Sichere Seewege sind in unserer heutigen globalisierten Welt für den reibungslosen Ablauf des Welthandels essentiell, was in der öffentlichen Debatte allerdings nach wie vor nicht ausreichend thematisiert wird. Der Piraterieexperte David Petrovic fasst dieses  Problem wie folgt zusammen: „Gefährden Piraten in Südostasien den Schiffsverkehr etwa in der Straße von Malakka, so sind aufgrund der herausragenden Bedeutung der dortigen Seeverkehrswege auch deutsche Handelsinteressen tangiert, wenngleich dieser Problemkontext zumindest öffentlich noch viel zu wenig Aufmerksamkeit erfährt. Selbiges gilt für die gesamte westafrikanische Küste, wo von Angola bis Nigeria wichtige Rohstofflieferanten an den Atlantischen Ozean grenzen und die Seeverkehrswege hier für Europa eine immer wichtigere Bedeutung einnehmen.“    

Quelle: Seefahrer-Blog
        
Während die Zahl der Piratenangriffe am Horn von Afrika zuletzt stark rückläufig war, ist sie in der Region Westafrika in den vergangenen Jahren gewachsen. Allein für das Jahr 2013 weist die Statistik der International Maritime Organization (IMO) 54 erfolgte und versuchte Akte der Piraterie bzw. bewaffneter Raubüberfälle auf Schiffe in dieser Region aus. Allerdings müssen diese Zahlen mit Vorsicht betrachtet werden, da es für Reeder und Schiffseigner keine Meldepflicht bei Piratenangriffen und – vor dem Hintergrund steigender Versicherungsprämien – auch nur wenig Anreiz für freiwillige Meldungen gibt. Somit bleiben viele Angriffe unberücksichtigt. Experten gehen von einer Dunkelziffer von mindestens 20 bis 40% aus. Die Piraterie vor Westafrika bzw. am Golf von Guinea geht vor allem von den Küsten der Staaten Benin, Ghana, Guinea, Togo, Elfenbeinküste und besonders Nigeria aus. Während sich die Piraterie am Horn von Afrika vor allem auf die Entführung von Schiffen mitsamt ihrer Besatzung zur Erpressung von Lösegeld konzentriert, ist ein spezifisches Merkmal der Piraterie vor Westafrika der Raub von Schiffsladungen. Die Triebfeder der Piraterie vor Westafrika ist schwache Staatlichkeit als Folge von sozioökomischen und politischen Spannungen in den Ländern der Region. Wobei schwache Staatlichkeit wiederum bestehende sozioökomische und politische Spannungen verschärfen kann. Ein hervorstechendes Beispiel dafür ist Nigeria: In Nigeria leben rund 80% der Bevölkerung von weniger als zwei Dollar am Tag, während Korruption grassiert und das Land von politischer Gewalt erschüttert wird: im Norden durch die djihadistische Sekte Boko Haram und im südlichen ölreichen Nigerdelta durch diverse Rebellengruppen, die gegen die ungleiche Verteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft kämpfen. Im Zuge der Auseinandersetzungen im Nigerdelta seit 2006 wurde die Piraterie dort zunehmend politisiert. Neben kleineren Gruppen von Kriminellen, die Piraterie zur persönlichen Bereicherung betreiben, greifen daher vermehrt auch lokale Widerstandsgruppen auf Piraterie als Taktik im Rahmen ihrer Kämpfe zurück.

Maßnahmen zur Bekämpfung der Piraterie vor Westafrika sollten daher auf den Auf- und Ausbau von staatlichen Strukturen sowie auf die Lösung von politischen und sozio-ökonomischen Spannungen in den Ländern der Region fokussieren. Erste Ansätze wie bspw. das EU-Programm „CRIMGO“, das auf die Unterstützung beim Aufbau von Informationsnetzwerken und die Schulung von Küstenwachen in der Region zielt, weisen bereits in eine richtige Richtung. Ein weiterer, sozio-ökonomisch ausgerichteter, Ansatz wäre bspw. die Einrichtung von Bildungsprogrammen, um den jungen Menschen in den Ländern Westafrikas eine bessere Zukunftsperspektive zu geben. Als Vorlage könnte hier das jüngst durch die Organisation SOS-Kinderdörfer und den Verband Deutscher Reeder finanzierte Projekt eines E-Learning-Zentrums in Dschibuti dienen. In jedem Fall sollte auch bei uns mehr öffentliches Bewusstsein gegenüber den Herausforderungen durch die moderne Piraterie und ihren Triebfedern geschaffen werden und die politisch Verantwortlichen in Afrika und Europa sollten gemeinsame Lösungen finden und diese koordiniert umsetzen.

Kai Strell ist Student im Masterstudiengang „Internationale Politik und Internationales Recht“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Schwerpunkte sind humanitäres Völkerrecht und Seerecht sowie Frieden und Sicherheit in Afrika. Herr Strell war studentischer Mitarbeiter des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität zu Kiel (ISPK) und hält Vorträge zur politischen Bildung.

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