Maritime Sicherheit im 21. Jahrhundert
Diskussionsbeiträge aus der Politikwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zu allen Themen rund um Seesicherheit.
Sonntag, 30. April 2017
Mittwoch, 28. Januar 2015
Status
Mit dem Ende des Wintersemesters 2014/15 und dem Hauptseminar "Maritime Sicherheit" ruht derweil der Betrieb auf diesem Blog.
Der Blog zu maritimen Themen - als Leser oder als potenzieller Autor - ist Meerverstehen, eine Einrichtung des Deutschen Maritimen Instituts.
Red.
Der Blog zu maritimen Themen - als Leser oder als potenzieller Autor - ist Meerverstehen, eine Einrichtung des Deutschen Maritimen Instituts.
Red.
Sonntag, 11. Januar 2015
Der explosive Streit um ein paar kleine unbewohnte Inseln im Ostchinesischen Meer
Gemeint ist aber in beiden Fällen ein und dieselbe kleine Inselgruppe
zwischen Japan und der Volksrepublik China in der Nähe von Taiwan.
Bei diesem Streit wird häufig von einem der
explosivsten maritimen Konflikte unsere Zeit gesprochen.
Wie kam es zu diesem Konflikt?
China erhebt auf Grund historischer Aspekte Anspruch
auf die kleinen Inseln. So argumentiert die Regierung der VR China die Inseln
seien erstmals im 14. Jahrhundert (zur Zeit der Ming-Dynastie) von chinesischen
Seeleuten schriftlich erwähnt worden und später wiederholt als Teil des
Kaiserreichs beschrieben worden. Dies allein sei schon ein Beleg dafür, dass
China hier schon zu jener Zeit ausreichend seine Ansprüche geltend gemacht
hätte. Des Weiteren hätte im 18. Jahrhunderts eine indirekte Anerkennung Japans
der Inseln als zu China gehörig stattgefunden. Die Beweise für all dies sind
aber durchaus als dünn und vielseitig interpretierbar anzusehen. Quelle:http://commons.wikimedia.org
Darüber hinaus
gelten hier rechtlich keine vagen „historischen“ Ansprüche, sondern das
Recht. Da Japan im ersten Chinesisch-Japanischen Krieg offiziell
Anspruch (mit einer entsprechenden rudimentären Besiedelung durch
Gebietsmarken)
erhoben hat, stehen die Inseln ihm zunächst auch zu. Im
Laufe der Jahre hat Japan einige der Inseln als offizieller Besitzer an
eine Privatperson verkauft.
Wie
kommt China aber trotzdem dazu die Inseln für sich zu ein zu fordern?
Das Verhältnis zwischen Japan und China ist von jeher emotional
aufgeladen.
So lamentiert man in China immer noch Japan habe ihnen
im ersten und zweiten Chinesisch-Japanischen Krieg schwere Demütigungen zugefügt,
die bis heute nach hallen würden. Einige von Japan in diesem Krieg begangenen
Kriegsverbrechen (wie etwa das Massaker von Nanking oder die Versuche an chinesischen
Zivilisten in der Mandschurei zur Weiterentwicklung von biologischen Waffen)
blieben bis heute weitestgehend unaufgearbeitet und sorgten so für ein
dauerhaft angespanntes Verhältnis zwischen den Staaten. Es wird von chinesischer
Seite aus häufiger von einer bisher nicht eingelösten Schuld der Japaner
gesprochen.
Darüber hinaus sehen sich die beiden Länder von jeher
auf vielen Feldern als massive Konkurrenten. Gerade die militärische Konkurrenz
führt seit Jahren zu einem wechselseitigen Bedrohungsgefühl. Ihre
Kriegsgeschichte wirkt bis heute nach. Das Beispringen der USA als „Schutzmacht“
Japans wird als Erweiterung dieser Bedrohung betrachtet.
Die Wahrnehmung der Bevölkerung der jeweils anderen
kann schlicht als bedenklich eingestuft werden. So hat eine Umfrage der Zeitung
„China Daily“ und des japanischen Think Tanks „Genron“ im letzten Jahr
aufgezeigt, dass die Anzahl der Personen, die die jeweils andere Bevölkerung mit sehr
negativen Attributen assoziieren sich um 9/10 bewegen. Dies zeigt die Gefahren
der Rivalitäten und Konflikte der beiden Länder auf- sie bewegen sich nämlich nicht
nur auf der politischen Ebene, sondern sind auch in den Gesellschaften beider
Länder tief verankert.
So zeigt der Fall einer chinesischen Kindergärtnerin im
letzten Jahr wie explosiv die Gefühle die man füreinander hegt schon sind: Im Rahmen einer Schulaufführung
hatte sie unabsichtlich ein altes japanisches, anstatt eines chinesischen Marschlieds
verwendet. Der Proteststurm der hierauf folgte nahm überwältigende Ausmaße an.
Sie verlor nicht nur ihren Job, das Pekinger Erziehungsamt sah sich auch
genötigt alle Lehrer und Kindergärtner der Region eindringlich daraufhin zu
weisen ihr „politisches Bewusstsein“ bei all ihren Erziehungstätigkeiten
einzubringen. Sogar die Kleinsten müssen hier schon auf bestehende Feindbilder genormt
werden.
Zu einer ersten Zuspitzung des
Konfliktes um die Inseln kam es erstmals gegen Ende des ersten
Japanisch-Chinesischen Krieges, als Japan auf den Inseln
Hoheitsmarken aufstellte und sie somit offiziell als japanisch
deklarierte,
womit China natürlich nicht einverstanden war. Zu dieser Zeit stand aber
vor
allem der territoriale Ausbreitungsgedanke im Vordergrund, heutzutage
lauern
hier ganz andere umkämpfte Schätze.
Nach der Kapitulation Japans im Zuge des Zweiten
Weltkrieges wurden die Inseln im Rahmen des Friedensvertrages unter
US-amerikanische Militärverwaltung gestellt. Da die VR China nicht
an den Verhandlungen zu diesem Vertrag beteiligt wurde und sie ja auch schon im
Vorhinein ihre Ansprüche aufgezeigt hatte, legte sie umgehend ausdrücklichen, wenn auch vergeblichen
Protest gegen diese Entscheidung ein.
1970 gaben die USA die Inseln vollends an Japan
zurück.
In den Jahren 1968/1969 wurden rund um die eigentlich als weitgehend wertlos eingestuften Inseln Anzeichen auf mögliche
Erdöl- und Erdgasvorkommen entdeckt. Somit wurden die Inseln, die zuvor eher
auf Grund ihrer Lage für Schifffahrtswege und darüber hinaus vielleicht noch in
Bezug auf Fischbestände interessant schienen noch einmal deutlich aufgewertet.
Das, und vermutlich auch Gedanken des Machtgebarens gegenüber China führte dann
auch dazu, dass sich Japan entschloss einer der veräußerten Inseln wieder
zurück zu kaufen.
Im letzten Jahr erreichte der Konflikt einen neuen Höhepunkt.
Die chinesische Regierung hatte in einer einseitig getroffenen Entscheidung
ihre Luftverteidigungszone (ADIZ: air defense indentification zone) bis über
die Inselgruppe hinaus erweitert. Sie überlappte nun die koreanische und eben auch die
japanische und führte so zu erneuter Unruhe.
Die VR China wollte hiermit durchsetzen, dass
jeder Überflug der Inseln vorher bei ihnen angekündigt oder angefragt werden müsse. Ein eindeutiges
Besitzgebaren, dass eine Änderung des Status quo (also der Inseln als
japanisches Territorium) herbeiführen sollte.
Die japanische Regierung teilte daraufhin allen, diese
Region überfliegenden Airlines mit dies schlichtweg zu ignorieren, was sie mittelfristig
dann auch taten und ließ sich auch ansonsten nicht von dieser Geste
beeindrucken.
Quelle: http://commons.wikimedia.org
Die amerikanische Regierung sprang Japan bei der Ablehnung
dieser chinesischen Anordnung bei und überflog ohne jegliche Anmeldung oder Vorwarnung die Inselgruppe mit zwei unbewaffneten B-52-Bombern – eine Reaktion von chinesischer
Seite blieb glücklicherweise aus. Aus Washington hieß es zu dieser doch
eigentlich sehr eindeutig Machtzurschaustellung bloß, man habe ein schon länger
geplantes Routinemanöver
durchgeführt. Welcher Routine dies folgen soll sei mal dahin gestellt.
Kann
diese amerikanische Aktion als Hinweis dafür gesehen werden, dass diese Region
als immer instabiler, gefährdeter angesehen wird und ein Eingreifen nötig
macht?
Fakt ist, dass die USA bereits häfiger in den letzten Jahren
deutlich gemacht haben, dass das Sicherheitsabkommen, welches sie mit Japan
abgeschlossen haben die Senkaku-Inseln ganz klar als japanisches Territorium miteinschließt.
Inwieweit die USA sich aber weiterhin einbinden lassen
würden, falls China seinen Druck doch noch weiter erhöhen sollte, darüber kann
natürlich nur spekuliert werden. Zu bedenken ist hier natürlich auch, dass die
USA auch einige Abhängigkeiten mit China verbinden. Man bedenke nur, dass sie nach
wie vor als größter Schuldner des Landes auftreten. Es bleibt zweifelhaft ob
die USA als Aggressor gegen ihren bedeutendsten Gläubiger agieren würden.
Der Führungswechsel in China im vorletzten Jahr und
die Unterhauswahl in Japan im letzten haben weiter zu einer Verfestigung des
Konfliktes beigetragen- anstatt zu versuchen diesen Konflikt diplomatisch aus
der Welt zu Räumen waren beide Regierungen in der Position innenpolitisch
Stärke demonstrieren zu müssen, was eine Entschärfung des Konfliktes weiter
erschwerte.
Positiv zu vermerken ist aber, dass sich die
Regierungschefs beider Länder im Rahmen des APEC-Gipfels Ende letzten erstmals offiziell
und öffentlich getroffen haben, wenn dieses Treffen auch mit wenig Herzlichkeit
einherging, scheint es doch einen wichtigen Schritt zu markieren.
Ob sich dieser Territorialkonflikt im neuen Jahr
wieder abkühlen lässt oder doch weiter verschärfen wird bleibt abzuwarten…
K.Busch
ist Studentin im Masterstudiengang Politikwissenschaft (Modernes
Regieren) und International Vergleichende Soziologie an der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Samstag, 3. Januar 2015
Der Schutz von Tiefseekabeln – ein unmögliches Unterfangen?
Die ganze Welt ist heute durch Tiefseekabel vernetzt (Quelle:https://www.flickr.com/photos/caseorganic/5944449945) |
Mittlerweile
umspannt ein Netz von Unterseekabeln den gesamten Globus. Mit Ausnahme der Antarktis, die aufgrund der widrigen
Temperaturverhältnisse im Südlichen Ozean kein geeigneter Ort für die Verlegung
von optischen Glasfaserkabeln ist, sind alle Kontinente unterseeisch
miteinander verbunden. Nahezu der gesamte internationale
Datenverkehr der
Welt fließt durch diese Tiefseekabel, die im Vergleich zu Satelliten größere Datenvolumen mit
annähernder Lichtgeschwindigkeit transportieren können und zudem wesentlich preiswerter
sind. Doch wie kann eine derart komplexe Kabelinfrastruktur, deren Gesamtlänge
mehrere Hunderttausend Kilometer umfasst, effektiv geschützt werden?
Angesichts ihrer Verwundbarkeit und der diffusen Gefahren, die sie bedrohen,
gestaltet sich diese Aufgabe als schwierig. 75%
der Störungen lassen sich nicht auf technische Ursachen, sondern auf äußere
Umstände zurückführen.
Menschengemachte und natürliche Bedrohungen
Ein Schiff bei der Verlegung von Unterseekabeln
(Quelle: https://www.flickr.com/photos/guerric/5909138711)
|
Tiefseekabel werden durch speziell ausgerüstete Schiffe verlegt. Ihrer Verlegung geht eine detaillierte Untersuchung der Beschaffenheit des Meeresbodens vor, durch den die Kabeltrasse führen soll. Der Verlauf von Naturschutzgebieten und Schifffahrtsrouten sowie geophysikalische Faktoren werden hierbei berücksichtigt. Die Ummantelung und die Verlegungsart der Seekabel variieren je nach Trassenabschnitt. In seichten Küstengewässern, wo die Seekabel den Bedrohungen menschlichen Handelns wie ankernden Schiffen und Fischereigeräten ausgesetzt sind, haben sie einen größeren Durchmesser und sind etwa so dick wie eine Getränkedose. Bei weichem Grund werden sie mittels eines Hochdruckstrahls in den Küstenboden versenkt, während bei einem festeren Meeresboden ein Verlegepflug erforderlich ist. In der Tiefsee liegen die wesentlich dünneren Kabel (ihr Durchmesser beträgt etwa den eines Filzstifts) hingegen frei auf dem Ozeanboden. Doch nicht nur anthropogene Gefahren lauern auf die Unterseekabel, auch vor Haiangriffen sind sie nicht gefeit. Warum die Meeresraubtiere von den maritimen Glasfaserkabeln angezogen werden, ist nicht abschließend geklärt. Denkbar ist, dass sie die elektromagnetischen Felder, die von den Kabeln ausgehen nicht von jenen biologischen Feldern zu unterscheiden vermögen, die von Fischen ausgestrahlt werden. Um den Schaden, den die Bisse von Haien verursachen können, möglichst gering zu halten, setzt Google seit Kurzem auf die zusätzliche Beschichtung seiner Unterseekabel mit Kevlar. Dieser extrem feste und bruchsichere Kunststoff, der auch für schusssichere Westen und Fahrzeugpanzerungen verwendet wird, soll der Kabelummantelung beigefügt werden und für Abhilfe sorgen. Geologischen Bedrohungen wie Unterseebeben, Erdrutschen, Verschiebungen von Kontinentalplatten und Taifunen kann durch derartige Präventionsmaßnahmen nicht begegnet werden. Was hier allerdings helfen kann, ist die Errichtung mehrerer Kabeltrassen: je mehr Unterseekabel für dieselbe Verbindung zuständig sind, desto leichter ist es im Falle eines Ausfalls auf ein intaktes Kabel auszuweichen. Dass sich die Installation eines solchen Backup-Netzwerks bewährt, zeigte sich im Zuge der Tsunamikatastrophe 2011 in Japan, dessen Kabelinfrastruktur nur aus diesem Grund nicht lahmgelegt wurde. Der Datenverkehr der Entwicklungsländer an der afrikanischen Ostküste und geographisch entlegener Staaten wie Tonga und Vanuatu, die erst in den vergangenen Jahren von der Satellitentechnologie auf die Tiefseekabel umgestiegen sind und bisher nur vereinzelte Kabel installiert haben, ist daher viel verwundbarer als die internationale Kommunikation der Industrieländer.
Schreckensvision: maritimer Terrorismus
"WARNING SUBMARINE CABLE CROSSING" - könnten
Terroranschläge auf Unterseekabel in Zukunft Wirklichkeit
werden?
(Quelle:https://www.flickr.com/photos/vogelium/2072176623)
|
Abgesehen von der Betriebssicherheit (safety) wird im Zusammenhang mit Unterseekabeln auch über die maritime Sicherheit (security) geredet. Trotz der technischen Schwierigkeiten einen maritimen Terroranschlag durchzuführen, erscheint dieses Bedrohungsszenario vielen als gar nicht so unwahrscheinlich. Insbesondere der 19-stündige Internetausfall in Syrien 2012, der vermeintlich auf eine Sabotage durch „Terroristen“ zurückzuführen sei und der versuchte „Anschlag“ auf ein Unterseekabel vor der ägyptischen Küste 2013 haben der Weltöffentlichkeit die Verwundbarkeit des internationalen Datenverkehrs vor Augen geführt. Auch wenn die von der syrischen Regierung und den ägyptischen Behörden genannten Ursachen für diese Vorfälle wahrscheinlich jeder Grundlage entbehren, könnte der Eindruck entstehen, dass Anschläge auf Unterseekabel unmittelbar bevorstehen. Das Backup-Netzwerk der Tiefseekabel sorgt hier allerdings für Entwarnung. Es würde schon einer logistischen Meisterleistung bedürfen die gesamte Kabelinfrastruktur eines Landes lahmzulegen. Was hingegen eine reale, wenn auch nicht unbedingt wahrscheinliche Bedrohung darstellt, ist die relative Exponiertheit der Landestationen, in die die Unterseekabel münden, wenn sie die Küste erreichen. Mit Ausnahme Großbritanniens, das durch ständige Patrouillen die Sicherheit dieser Stationen gewährleistet, besteht bei anderen Ländern, darunter auch den USA, hier durchaus Handlungsbedarf.
Dóra Simon ist Studentin im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit den Schwerpunkten europäische Integration sowie Völkerstrafrecht.
Freitag, 2. Januar 2015
Ri[gh]t(es) of Passage – Russlands nördlicher Seeweg
Über Jahrhunderte kennzeichnete der „Drang zum Meer“ die
russische Außen- und Expansions-politik. Peter der Große errichtete
1703 die neue Hauptstadt seines Reiches, St. Petersburg, bewusst am
neu gewonnenen Zugang zur Ostsee.
In zahlreichen Auseinandersetzungen
wie etwa dem Großen Nordischen Krieg gegen Schweden hatte Russland
diesen Zugang zur Ostsee erzwungen und behaupten können. Ebenso gelang es, sich im 18. Jahrhundert gegen den
Widerstand des osmanischen Reiches und dessen Verbündeten, dem
Krimkhanat, den Zugang zum Schwarzen Meer zu sichern und sich ein Gebiet
um die Halbinsel Krim unter dem
heute wieder populären Namen „Neurussland“ einzuverleiben. Im
19. Jahrhundert gelangte Russland schließlich an den Pazifik und
sicherte sich im Vertrag von Aigun 1858 Teile der Mandschurei von
China, in dessen Folge die Stadt Wladiwostok am japanischen Meer
gegründet wurde.
Das
historische Ziel, der Zugang zum Meer, war erreicht. Dennoch haben
diese Erfolge bis heute für Russland einen entscheidenden
Schönheitsfehler: Die Zugänge zu diesen Seegebieten waren und
werden von anderen Staaten kontrolliert, die heute überwiegend
Verbündete des Erzrivalen USA sind. So kontrollieren die Ausgänge
aus der Ostsee die NATO-Staaten Dänemark, Norwegen und Deutschland.
Der Durchgang vom Schwarzen Meer zum Mittelmeer, der Bosporus, ist
Hoheitsgebiet des NATO-Mitglieds Türkei (auch wenn die Durchfahrt
bis heute im Vertrag von Montreux von 1936 geregelt bleibt) und auch
der pazifische Raum wird von den US-Verbündeten Südkorea und Japan,
wenn nicht von den USA selbst kontrolliert. Russland hat zwar
Zugänge, aber alle stellen gewissermaßen „Kopfbahnhöfe“
dar. Nirgends kann Russland bedeutende internationale Seewege
kontrollieren, sondern muss sich im Gegenteil mit der Kontrolle durch
andere Staaten abfinden. Im Schwarzen Meer sieht Russland sich sogar
immer stärker in die Defensive gedrängt. 2008
drohte gar die NATO-Mitgliedschaft der ehemaligen
Sowjetrepubliken Georgien und Ukraine, wogegen Russland sich
mutmaßlich auch militärisch zur Wehr setzte: So 2008 im kurzen
Krieg gegen Georgien, den Russland für sich entscheiden konnte.
Seither versucht es, die Konflikte
der abtrünnigen Teile Abchasien und Süd-Ossetien mit dem
georgischen Mutterland dauerhaft am köcheln zu halten, um die
Aufnahme Georgiens in die NATO möglichst lange zu verhindern.
Aktuell geschieht dies auch in der Ukraine, von der die für Russland
strategisch so wichtige Krim-Halbinsel annektiert wurde und in deren
Osten Russland ebenfalls einen Dauerkonflikt zu installieren droht.
Dennoch scheint es derzeit nicht in der Lage zu sein, einen weiteren
Kontrollverlust im Schwarzen Meer zu Gunsten der NATO dauerhaft
aufzuhalten. Das zeigt die Aufgabe der Blockfreiheit durch das
ukrainische Parlament im Dezember 2014 und die Bekräftigung der
Absicht durch die ukrainischen Regierung, Teil des NATO-Bündnisses
werden zu wollen.
Seerouten in der Arktis, Bildquelle: thearcticinstitute.org |
Dennoch
besitzt Russland einen gewaltigen Küstenstreifen der sich von Europa
bis Asien, vom Atlantik zum Pazifik erstreckt. Sie umfasst im
Westen die Barentssee, in der Mitte die Kara-See, die durch zwei
Meerengen begrenzt ist, sowie die Laptev-See und im Osten die
Ostsibirische See und das Bering-Meer. Wenn sie eisfrei ist, verkürzt
diese Nordostpassage den Seeweg von Europa nach Asien im Vergleich zu
der klassischen Route durch den Suez-Kanal erheblich. Darüber hinaus
münden hier zahlreiche Flüsse, die weit in die wenig zugänglichen
Gebiete der russischen Taiga hineinreichen, wie Petschora, Ob oder
Jenissei und erschließen die rohstoffreichen Gegenden Sibiriens, des
Ural-Gebietes oder des Fernen Ostens Russlands. Darüber hinaus
liegen in den Seegebieten selbst, vor allem der Kara-See, bedeutende
Rohstoff-Vorkommen, deren Erschließung Russland derzeit in Angriff
nimmt.
Bislang
wurde die Passage schon in überschaubarem Umfang genutzt, vor allem
zu Sowjetzeiten. Die wirtschaftliche Nutzung muss aber meist von
Eisbrechern abgesichert werden und ist wegen des rauen Klimas auch
sonst aufwendig und teuer. So ging mit dem Zerfall der Sowjetunion
ein erheblicher Verlust der Infrastruktur einher, weil Eisbrecher
nicht mehr betrieben wurden und Häfen wie Dikson stark an Einwohnern
verloren und verfielen. Auch militärstrategisch war die Passage nie
gänzlich unbedeutend, auch wenn sie von Überwasser-Einheiten nur in
eng begrenztem Umfang befahren werden konnte. So nutzte 1940 sogar
die deutsche Kriegsmarine die Nordostpassage, um mit Hilfe russischer
Eisbrecher den Hilfskreuzer „Komet“ in den Pazifik zu überführen,
der dort Handelskrieg gegen die alliierte Schifffahrt führte. Im
Kalten Krieg waren es vor allem die strategischen Atom-Uboote der
Sowjet-Marine, die die langgestreckten Hoheitsgewässer nutzten, um
möglichst unerkannt in die Weiten der Meere zu entkommen, auch wenn
dieser Vorteil durch die zahlenmäßige Überlegenheit amerikanischer
Jagd-Uboote reduziert wurde.
Rohstoffe in der russischen Arktis, Bildquelle: thearcticinstitute.org |
Mit
dem Abschmelzen des nordpolaren Eises verbessert sich die
Schiffbarkeit heute aber stetig weiter. 2013 wurden bereits über 70
kommerzielle Komplett-Passagen gezählt, eine deutliche
Steigerung im Vergleich zu den Vorjahren.
Für
Rohstoffnationen wie Norwegen wäre dieser Seeweg eine Möglichkeit,
die asiatischen Märkte etwa in Japan schneller bedienen zu können.
Vor allem aber die eigenen russischen Ressourcenlagerstätten (mehr
als 90% der russischen Rohstofflagerstätten entfallen auf den
arktischen und subarktischen Raum) könnten deutlich besser
ausgebeutet werden, gerade der Transport
von Flüssiggas (LNG) durch Spezialschiffe erlebt seit einigen
Jahren einen regelrechten Boom. Das wäre vor allem im Hinblick auf
den rasant wachsenden asiatischen Energiemarkt für Russland
attraktiv, das bisher durch sein Pipeline-Netz vor allem den
westeuropäischen Markt im Auge hatte.
LNC-Tanker in der Nordostpassage 2014
Bildquelle: worldmaritimenews.com
|
Die
bisherige Infrastruktur im Fernen Osten Russland lässt nämlich
insgesamt noch stark zu wünschen übrig. So gilt etwa die
Transsibirische Eisenbahn als deutlich überlastet und der Transport
über den Seeweg wäre eine dringend nötige Ergänzung.
Die
wachsende Bedeutung der Nordostpassage hat Russland erkannt und
unterstreicht dies durch eine deutliche Erweiterung der rechtlichen
Regelungen für seinen „nördlichen
Seeweg“. So
versucht die russische Regierung, die Meerengen umfassender zu
kontrollieren, obwohl ihre Durchfahrt, selbst in der Kara-Straße,
nach dem Seerechtsübereinkommen eigentlich nicht in die russische
12-Meilen-Zone fällt. Man behilft sich mit Anweisungen zu Eisbrecher-
oder Lotsenpflicht oder generellen Sicherheitsbestimmungen. Dies
musste etwa 2013
das Greenpeace-Schiff „Arctic Sunrise“ erfahren, dem die
russischen Behörden mit Verweis auf angeblich mangelnde
Eisgängigkeit die Einfahrt in die Kara-See verweigerten.
Nach
der klassischen Seemachts-Definition von Sam Tangredi müsste
Russland mit der Nordostpassage einen entscheidenden Trumpf im Ärmel
haben. Bisweilen ist sogar von einem neuen russischen Suezkanal die
Rede. Stimmt das?
Die Suezroute und die Nordostpassage im
Vergleich
Bildquelle: usni.org
|
Die
entscheidende Voraussetzung wäre, dass sich das Verkehrsaufkommen
und damit die Bedeutung des Seeweges noch erheblich steigert. Bislang
bleibt der Suezkanal die wichtigste Verbindungsstrecke zwischen Ost
und West mit jährlich über 18.000
Passagen. Daran dürfte sich auch so schnell nichts ändern. Der
Grund liegt vor allem in dessen ganzjähriger Nutzung und der
Planbarkeit, denn die Nordostpassage kann in den Wintermonaten nicht
befahren werden und niemand kann zuverlässig vorhersagen, in welchem
Monat das Eis weit genug zurückgegangen ist, um eine sichere
Durchfahrt gewährleisten zu können. Denn auch wenn das Eis im
Mittel zurückgeht, besteht eine erhebliche Schwankungsbreite.
Darüber
hinaus sind wegen fehlender Häfen kaum Zwischenstopps und damit kaum
Handelsmöglichkeiten vorhanden. Die Durchfahrt würde – anders als
auf der Suezroute – weitgehend als Nonstop-Passage erfolgen. Das
macht sie für die Reeder unattraktiver, weil die Schiffe möglichst
komplett ausgelastet sein sollten, was auf langen Strecken
komplizierter ist.
Daneben
erwächst dem russischen nördlichen Seeweg mit dem Abschmelzen des
Eises auch zusätzliche Konkurrenz in Form der Nordwest-Passage durch
das kanadische Archipel, die zwar auf der Referenz-Strecke von
Yokohama nach Rotterdam 1000 Seemeilen länger und schwieriger ist,
aber auch Russlands Spielraum, mit seinem Seeweg Machtpolitik zu
betreiben, erheblich einengt.
Welcher
Reeder würde sich schon einem willkürlichen russischen
Durchfahrtsregime unterwerfen wollen, wenn es genug
Ausweichmöglichkeiten gibt?
Öl- und Gasvorkommen in der Kara-See, Quelle: rosneft.com |
Zu
guter Letzt kann Russland zwar die Zugänge zum Kara-Meer
kontrollieren, aber im europäischen Nordmeer, mit der
Dänemark-Straße zwischen Island und Grönland und weiter zwischen
Island, den Färöern und
den Shetlandinseln übernehmen wieder
die NATO-Staaten. Im Osten muss man sich die Kontrolle der
Beringstraße mit den USA, im japanischen Meer mit Japan und
Südkorea teilen. Außerdem verläuft der direkteste Weg nördlich an
der Kara-See vorbei, sodass die Kara-Straße ohnehin nur befahren
wird, wenn die Eisverhältnisse zu schlecht sind. Dann aber ist eine
Durchfahrt meist insgesamt so schwierig, dass sie ohnehin nur schwer
zu realisieren wäre.
Darüber hinaus
erfordert die wirtschaftliche Nutzung der Gebiete des nördlichen
Seeweges erhebliche Investitionsanstrengungen. Nicht nur um die klimatischen
Herausforderungen in den Griff zu bekommen, sondern auch um
hausgemachte Probleme zu beseitigen: So wurden ausgemusterte
Atom-Uboote
der Sowjetmarine einfach im Kara-Meer versenkt, ausgerechnet
dort, wo man zukünftig nach Öl und Gas bohren will. Diese Risiken
müssen erst einmal umfangreich beseitigt werden, bevor man sich
überhaupt an die nicht weniger kostenintensive Ausbeutung wagen
kann. Partner ExxonMobil
ist 2014 bereits abgesprungen.
Es
bleibt also fraglich, ob Russland angesichts niedriger Ölpreise und
der finanziellen Krise in die das Land derzeit abrutscht, diese
Investitionen überhaupt noch schultern kann und ob sie sich dann
wirtschaftlich überhaupt rechnen.
Russischer Kreuzer "Peter der
Große" in der Arktis
Bildquelle: militaryphotos.net
|
Dennoch bietet sich
für Russland die Möglichkeit, im Handel mit dem asiatischen Raum,
vor allem China, eine deutlich größere Rolle zu spielen als zuvor. Das gilt insbesondere für den Handel mit fossilen
Rohstoffen wie Flüssiggas, der Russland von dem zweischneidigen
Schwert der Gasversorgung anderer Staaten durch Pipelines über
Drittstaaten (etwa Ukraine) unabhängiger macht. So kann Russland
besser einen globalen Markt bedienen, anstatt von den Abnehmern in
Europa abhängig zu sein, die sich ihrerseits ja gerade aus der
russischen Gasabhängigkeit befreien wollen. Auch für China dürfte
eine Alternativroute nicht unattraktiv sein. Für die traditionelle
Suez-Kanal-Strecke haben EU und NATO mit den Marineoperationen „Ocean
Shield“, „ATALANTA“ und „Enduring Freedom“ deutlich
gemacht, dass sie die Kontrolle über diesen Seeweg auch militärisch
abzusichern bereit sind. Sie richten sich zwar gegen Terrorismus und
Piraterie, implizieren aber dennoch, dass man sich diese Passage auch
geopolitisch nicht streitig machen lässt. Als erklärte Neu-Seemacht
mit einem ambitionierten Flottenprogramm könnte China mit seinem
russischen Partner also eine Alternativroute vor allem im Bereich der
eigenen Rohstoffversorgung kontrollieren.
Entwicklung der Frachtraten auf der
Nordostpassage:
Steigend, aber noch nicht auf dem
Niveau der Sowjetzeit
Quelle: arctic-lio.com
|
Auch
wenn die Nordostpassage kaum zum zweiten Suez-Kanal und Russland
dadurch ebenso wenig zu einer neuen Seesupermacht aufsteigen wird,
erlangt die russische Föderation doch eine Reihe neuer Möglichkeiten
und einen deutlich besseren maritimen Spielraum. Das mag nicht so
sehr gelten, wenn man den Fokus auf Europa legt, vielleicht aber dann,
wenn man ihn stattdessen Richtung Asien und vor allem auf China lenkt. Zum Schluss sollte man sich auch vor Augen führen, dass
über dem Suez-Kanal immer das Damokles-Schwert einer islamistischen Bedrohung
schwebt. Der Klimawandel wird nicht nur den Eisgürtel des nördlichen
Polarmeeres beeinflussen, sondern zu einem gewissen Grad auch die
politische Stabilität in Nordafrika. Für den Fall der Fälle hat
Russland also kein falsches Ass im Ärmel.
Knut Kollex studiert Politikwissenschaft, schleswig-holsteinische und
nordeuropäische Geschichte an der CAU Kiel. Zu seinen
Interessenschwerpunkten zählen - neben maritimen Themen - Fragen der
Staatlichkeit und die Analyse politischer Risiken.
Räume für Titanen aus Stahl - Offshore-Förderplattformen als Ursachen für Konflikte
Sie wiegen Zehntausende und kosten Milliarden. Offshore Bohrinseln sind Städte, die nicht auf dem Territorium eines Landes stehen. Auf ihnen leben Menschen und von ihnen leben Menschen. Seit sechzig Jahren bringen sie für unsere Zivilisation Öl und Gas – Energie. Bild: Oilguru |
Riesen
aus Stahl. Beine, so dick wie ein Haus und so lang wie die höchsten
Wolkenkratzer. Ein Körper, durchzogen von Rohren und Kabeln mit nur
einem Zweck: Öl aus Tiefen zu fördern, die einen Menschen schon
hundertfach zerquetscht hätten, bevor er zu ihnen gelangt wäre:
Offshore Bohrinseln. Es sind Titanen, die unsere Zivilisation tragen,
indem sie uns mit Öl, Gas und bald auch Metallen versorgen. Und die
neusten Titanen kosten Hundertsechzigtausend Dollar – jeden Tag.
Hunderte
Menschen leben auf ihnen: Handwerker, Ingenieure, Köche und die, die
die Wäsche machen für die Handwerker, Ingenieure und Köche. Es
sind kleine Städte auf dem Meer. Und das Meer ist ein
lebensbedrohlicher Ort. Seit Menschen Offshore nach Öl und Gas
bohren, fürchten sie Stürme und technische Fehler.
Doch nach und nach gewinnt der Mensch mit neuer Technik den Kampf
gegen die Kräfte der Natur. Heute sind Offshore Plattformen vor den
Naturgewalten weitesgehend sicher und die Natur muss ihrerseits
Fehler der Betreiber ausbaden. 2010 führte ein Defekt an der
Plattform Deepwater Horizon zur größten Ölverschmutzung derGeschichte.
Für
den Bürger an Land war die Deepwater Horizon Katastrophe auch die
letzte und einzige Geschichte, die er über Offshore-Förderanlagen
mitbekommen hat. Die Plattformen waren schon länger sturmfest
geworden, es gab nichts anderes von Besonderheit im regelmäßigen
Geschäft auf hoher See, bis 2010 die Katastrophe kam.
Der
Kampf gegen die See ist weitesgehend gewonnen. Aber der Kampf um die
See und um die besten Plätze für die Offshore Plattformen hat
begonnen. Im Frühjahr letzten Jahres sendete China zwei seiner
schlagkräftigsten Kriegsschiffe, die Kunlunshan und die Jinggangshan
in das Südchinesische Meer, vor die vietnamesische Küste. Sie
sollten eine Ölplattform schützen, die China dort platzieren
wollte.
An Weihnachten gab Israel bekannt, dass es vier Fregatten anschaffen will, die eingesetzt werden sollen, um Israels Offshore Plattformen
im Mittelmeer zu schützen. Zu diesem Zweck patrouillieren seit 2012 große Teile der israelischen
Marine dort. Kanada baut entgegen aller Klischees über seinen friedliebenden
Nationalcharakter eine Marine auf,
die in der Arktis kanadische Ansprüche vor alle gegen Russland
verteidigen soll, das seinerseits Teile seines Militärs in die
nördlichsten Bereiche seines Landes verlegt.
Das
zeigt: Industrialisierte Staaten sehen den bewaffneten Kampf um
Ressourcen auf hoher See als realistische Zukunft und wollen darauf
vorbereitet sein. Längst sehen sie nicht mehr nur Terroristen
als Gefahr für die maritime Sicherheit, sondern andere Staaten.
Israel fürchtet Angriffe der Marinen seiner Nachbarstaaten auf seine
Energieversorgung. China will seine Ansprüche gegen alle anderen
asiatischen Staaten durchsetzen: Japan im Osten und Vietnam, Korea,
Malaysia, die Philippinen aber auch Indonesien im Süden. Die
berühmt-berüchtigte Neun-Punkte-Linie Chinas überlagert sich hier
mit den Anspruchszonen, die durch das UN-Seerechtsabkommen von 1982
festgelegt worden waren. Noch ist der Arktische Rat offiziell
optimistisch, dass sie die Arktis friedlich aufteilen können.
Auf
dem ganzen Erdball führt die Knappheit der Rohstoffe dazu, dass die
Staaten auf hohe See schauen, um die Versorgung ihrer Zivilisation
mit Wärme, Transportmitteln und allerlei elektronischen
Gerätschaften sicherzustellen. Ein Blick auf den Globus und eine
Linien, die man zweihundert Meilen von jeder Landmasse zieht, zeigen
die Sphären der Wirtschaftsinteressen der Küstenstaaten. Jede kleine Insel löst eine zweihundert Meilen Zone aus. In diese
Zone mindestens können die Staaten ihre staatliche Souveränität
ausweiten wollen.
"The whole issue of 'economic waters' actually triples the size of Israel, but also creates strategic threats not only concerning the rigs and those working there, but also a threat to Israel's energy supply," said a senior naval officer. "A possible strike against the rigs is a nightmare scenario." Zitat: Haaretz 9. Jan. 2012; Bild: Rigzone.com |
Das
21. Jahrhundert wird mit wirtschaftlicher Prosperität einhergehend
erleben, wie Staaten ihre Territorial verankerte Souveränität auf
Bereiche der hohen See übertragen wollen. Kann das Völkerrecht
Schritt halten?
Die
Gründe für Konflikte verstärken sich. Bald ist es nicht nur Öl
und Gas, das Offshore gefördert wird: auch Metalle verbergen sich in
den Tiefen der Meere - und alle wollen ein Stück vom Kuchen. Aber
gleichzeitig verstärken sich auch die Gründe für eine friedliche
Belegung der Konflikte: So eine Offshore Plattform mit all der
dazugehörigen Infrastruktur wird Milliarden von Dollar kosten.
Zusätzlich kommt der durch die gewonnenen Rohstoffe riskierte
Nutzen für die Volkswirtschaft. Wenn alle Staaten solche Plattformen
besitzen, sollten sie sich gegenseitig nicht die Risikokosten erhöhen
wollen. Logisch wäre daher eine friedliche Einigung zum Nutzen aller
Beteiligter. Aber irrationales Verhalten kann diese Rechnung immer
stören. Und ein Staat, der keine Offshore Plattformen hat, hat auch
nichts zu verlieren, und alles zu gewinnen, wenn er die Arterie der
Wirtschaft seines Gegners auf hoher See kappen kann.
Die
Konflikte auf hoher See werden zunehmen, während die Staaten ihre
Interessensphären gegeneinander abzugrenzen versuchen. Es bleibt die
Frage zu untersuchen, ob die Vermehrung der Offshore Anlagen als
Katalysator für die Entwicklung des Völkerrechts dienen kann.
Milliarden-Dollar Investments und die Versorgungssicherheit der
Weltwirtschaft sollte als Interesse Vorrang haben vor
nationalistischen Kurzsichtigkeiten
und so den Frieden auf See bewahren.
Tim Bergmann studiert im Masterstudiengang "Internationale Politik
und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu
Kiel mit Schwerpunkt auf Sicherheitspolitik. Zuvor studierte er
Politikwissenschaft und Geschichte in Dresden.
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Mittwoch, 31. Dezember 2014
UNCLOS und die USA – a never-ending story?
Auch wenn den Vereinigten Staaten ihre alleinige Seeherrschaft allmählich streitig gemacht wird und mit dem Aufstieg Chinas vom Anbruch des pazifischen Jahrhunderts gesprochen werden kann, sind die USA weiterhin eine Ordnungsmacht der Weltmeere. Seit Mitte der neunziger Jahre ist einer der Kernbestandteile der US-Politik im Südchinesischen Meer die Einhaltung des internationalen Rechts und insbesondere die Wahrung der Prinzipien des Seerechtsübereinkommens (UNCLOS). Das hört sich sehr vernünftig an, denn mit mittlerweile 166 Vertragsstaaten sollte man auch im Südchinesischen Meer nicht umhinkommen UNCLOS zu beachten. Wenn man sich die Liste der Vertragsparteien des Seerechtsübereinkommens anschaut, fühlt man sich bestätigt: alle Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres gehören dazu. Man kann sogar einen Schritt weitergehen und das Ostchinesische Meer, das heutzutage aufgrund von Inselstreitigkeiten zunehmend in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückt, unter die Lupe nehmen. Auch hier wurde UNCLOS von nahezu allen betroffenen Staaten ratifiziert. Doch ausgerechnet die USA, die die Wahrung der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens fordern, sind nicht auf der Liste der Vertragsparteien vorzufinden. Doch was hielt und hält die USA bis heute davon ab der Konvention beizutreten und welche Vor- und Nachteile könnten den Vereinigten Staaten aus einer Ratifikation erwachsen?
Mehrere Anläufe zur Ratifikation
Die ursprüngliche Haupstorge der USA: eine Internationale Meeresbodenbehörde zur Umverteilung maritimer Ressourcen (Quelle:http://commons.wikimedia.org/) |
Bereits gegen Ende der
Vertragsverhandlungen zum Seerechtsübereinkommen zeichnete sich ab, dass die
Vereinigten Staaten der Konvention in ihrer damaligen Form nicht zustimmen
werden. Während der Großteil des Vertragstexts auf Völkergewohnheitsrecht fußt
und folglich auch in den USA Akzeptanz findet, stießen die UNCLOS-Bestimmungen
zum Tiefseebergbau auf Ablehnung. Inakzeptabel für die USA waren die Vorgaben
zur Umverteilung der Gewinne aus dem Tiefseebergbau, die sich aus dem Status
des Tiefseebodens als gemeinsames Erbe der Menschheit ableiten lassen. „The
United States is deeply concerned about the grave dangers of legitimizing this
socialist concept by signing the LOS Treaty.” Dass diese Redistribution der
maritimen Ressourcen durch eine internationale Behörde als „inefficient international
bureaucracy“
erfolgen sollte, sorgte für weiteren Unmut. Den fundamentalen Sorgen der USA
begegnete man 1994 durch Vertragsänderungen. Diese veranlassten viele
Industriestaaten, die ihre Zustimmung bisher aus ähnlichen Erwägungen verweigert
hatten, zur Ratifikation von UNCLOS. Noch im selben Jahr legte Präsident Clinton
die Konvention dem Senat vor. Trotz mehrerer Kongressanhörungen und der Empfehlung
des Auswärtigen Ausschusses des Senats scheiterte das Vorhaben. Seither wurden
sowohl unter der Bush- als auch unter der Obama-Administration mehrere Anläufe unternommen, dem
Seerechtsübereinkommen beizutreten. Obwohl es eine parteiübergreifende
Unterstützung für das Vorhaben gibt, ist UNCLOS seit genau zwei Jahrzehnten vor
dem Senat anhängig. Zuletzt wurde die Debatte 2012 wieder aufgegriffen,
allerdings ohne Erfolg. Doch welche Einwände werden von den heutigen UNCLOS-Gegnern
hervorgebracht, wenn die ursprünglichen Bedenken gegen die Konvention bereits durch
die 1994-er Vertragsänderungen zerstreut wurden?
Vorteile und (vermeintliche)
Nachteile eines UNCLOS-Beitritts
Auch die U.S. Marine befürwortet den Beitritt zu UNCLOS (Quelle:http://commons.wikimedia.org/) |
Bis heute wird gerne und oft der potentielle Souveränitätsverlust heraufbeschworen, den die USA
aufgrund der weitreichenden Kompetenzen der Internationalen Meeresbodenbehörde
(ISA) erleiden würden. Dieser Einwand wird durch die 1994-er Vertragsänderung
entkräftet, die den USA im Falle einer Ratifikation eine Vetoposition bei der
ISA zusichert. Diese Diskussion dreht sich streng genommen gar nicht um das Vertragsregime von UNCLOS, sondern
widerspiegelt eher eine generelle Debatte in den USA, die zwischen den Souveränitätsanhängern und den Internationalisten geführt wird. Nach dem zweiten, etwas nebulösen
Argument sollten die USA dem Seerechtsübereinkommen fernbleiben, da sie sich
ungewollt an die in den vergangenen Jahren von China betriebene Interpretation
des Übereinkommens
binden würden. Jeder, der etwas von Völkergewohnheitsrecht versteht, wird
wissen, dass eine einseitige Auslegung allein, ohne eine gängige Staatenpraxis
und einer zusätzlichen Rechtsüberzeugung nichts bewirken kann. Selbst wenn dem
so wäre, könnten die USA außerhalb des Konventionsrahmens herzlich wenig
dagegen unternehmen. Abgesehen davon, dass die geäußerten Bedenken unbegründet
zu sein scheinen, verkennen die UNCLOS-Gegner die wirtschaftlichen und
sicherheitspolitischen Vorteile eines Beitritts zur Konvention. Zwar beteuern sie, dass
der Ressourcenabbau sowohl am erweiterten Festlandsockel als auch auf dem
Tiefseeboden ohne UNCLOS-Beitritt möglich sei. Diese vermeintlichen Chancen werden
jedoch aufgrund eines unsicheren Investitionsklimas nicht genutzt. Doch nicht nur die
Wirtschaft beklagt bestehende Rechtsunsicherheiten, auch die Marine fordert aus
denselben Gründen den Beitritt zur Konvention. Dieser Beitritt liegt gemäß dem
Auswärtigen Ausschuss des Senats sogar „profoundly in the national
interest“. In
einem Sonderbericht des US-amerikanischen Think Tanks
Council on Foreign Relations wird en Detail ausgeführt, warum diese Aussage
durchaus der Realität entspricht. Auf der Hand liegt, dass die Forderung nach
multilateralen Lösungsansätzen im pazifischen Raum, um die chinesische
Seeherrschaft in Balance zu halten, durch das unilaterale Handeln der USA untergraben wird. Fakt ist des
Weiteren, dass durch das Fernbleiben von UNCLOS die ohnehin brüchige Führungsrolle der USA im Pazifik von ihren Alliierten
und strategischen Partnern noch stärker angezweifelt wird.
Dóra Simon ist Studentin im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit den Schwerpunkten Europäische Integration sowie Völkerstrafrecht.
Die Rückkehr zum Meer – der ewige Konflikt Boliviens mit Chile um einen souveränen Meereszugang
Ein Offizier der
bolivianischen Marine (fuerza naval)
(Quelle:https://www.flickr.com/photos/101436300@N08/9804349623)
|
Alljährlich begeht die bolivianische Bevölkerung am 23. März den Tag
des Meeres (día del mar) als Volksfest. Da der gesamte März im Zeichen des
Meeres steht, werden die Bolivianer bereits zu Beginn des Meeresmonats
auf die bevorstehenden Feierlichkeiten eingestimmt: die Zeitungen drucken
regelmäßig Fotos von der Brandung ab, im Fernsehen werden Sondersendungen zu
maritimen Themen ausgestrahlt und in den Schulen setzen die Lehrer die bedeutendsten
Seeschlachten des Landes auf den Stundenplan. Das Kuriose an dieser Tradition?
Neben Paraguay ist Bolivien als einziger Binnenstaat des amerikanischen
Kontinents vom Meer abgeschnitten. So kommt es, dass die bolivianische Marine ihre
Übungen nicht etwa auf der Hohen See, sondern 3800 Meter über dem Meeresspiegel
auf dem Titicacasee durchführt. Hier bereitet sich die höchstgelegene
Marine der Welt auf mögliche militärische Operationen vor und gewährleistet
die Sicherheit auf dem See, durch den die Grenze Boliviens zu Peru verläuft. Auch
in der Amazonasregion zeigt die bolivianische Marine Präsenz: ihre Hauptaufgabe
ist die Unterbindung des Drogenschmuggels auf den Flüssen. Dass auch Binnenstaaten
eine Marine haben, ist nicht weiter ungewöhnlich. Mehr als ein Dutzend Länder
unterhalten trotz fehlenden Meereszugangs durchaus funktionsfähige
Seestreitkräfte, die auf den Binnengewässern patrouillieren. Was den
bolivianischen Binnenstaat jedoch von den anderen unterscheidet, ist der seit
131 Jahren ungebrochene und zum Teil offensiv verfolgte Wunsch den eigenen
Küstenstreifen wiederzuerlangen.
Das nationale Trauma
Bolivianischer
Marinestützpunkt am Ufer des Titicacasees
(Quelle:https://www.flickr.com/photos/peace-on-earth_org/3102173414)
|
Im Zuge des Salpeterkriegs
(1879-1883) gegen Chile mussten Peru und Bolivien erhebliche Gebietsverluste
hinnehmen. Bolivien verlor seine maritime Provinz Antafagosta und musste ein
Territorium von ca. 120.000 Quadratkilometern mit einem 400 Kilometer langen
Küstenstreifen an Chile abtreten. Der Friedensvertrag von 1904 legt den heutigen
Grenzverlauf zwischen den beiden Ländern und die Bedingungen zur Mitbenutzung
der chilenischen Häfen durch Bolivien fest. Trotz eines freien Zugangs zum Pazifik und zahlreicher
Begünstigungen bei der Nutzung der Hafeninfrastruktur, pocht das Land bis
heute auf einen souveränen Meereszugang. Laut Bolivien kam der Vertrag unter
Zwang zustande und bedarf daher einer Totalrevision. Zu weiterem Missmut führte
die Entdeckung gewaltiger Kupfervorkommen in der vormals bolivianischen Region,
die Chile zum weltweit größten Kupferproduzenten machten und für seinen
wirtschaftlichen Aufschwung Ausschlag gebend waren. Bolivien führt seine
demgegenüber relative Unterentwicklung nicht etwa auf die instabilen politischen
Verhältnisse und die Misswirtschaft im eigenen Land zurück, sondern auf den
Verlust des Meereszugangs und der Rohstoffvorkommen der Provinz Antafagosta. Zwar
unterhalten die beiden Länder – mit Ausnahme einer kurzen Annäherungsphase in
den 70-er Jahren – aufgrund dieses Dauerkonflikts seit Jahrzehnten keine
diplomatischen Beziehungen mehr zueinander. Kommunikation in Form von gegenseitigen Anschuldigungen
stellt jedoch keine Seltenheit dar. Trotz wiederholter Zusicherungen seitens
Chiles eine gemeinsame Lösung zu finden und Bolivien einen souveränen
Meereszugang zu gewähren, hat sich bisher nichts
Konkretes getan.
Der Gang vor den IGH
Könnten bolivianische
Marineübungen auf der Hohen See
bald Realität werden?
(Quelle:https://www.flickr.com/search?text=armada+boliviana)
|
Dass diesen Absichtserklärungen
Chiles bisher keine Taten folgten, beanstandete Bolivien und zog 2013 vor den
Internationalen Gerichtshof (IGH). Anders als beim Konflikt
zwischen Chile und Peru geht es bei der bolivianischen Klage
nicht um die Ziehung von Seegrenzen. Es wird auch keine Rückgabe des ehemaligen
Küstenstreifens verlangt. Der IGH wurde von Bolivien dazu aufgefordert, eine
Verpflichtung Chiles festzustellen nach
„Treu und Glauben“ zu verhandeln und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Bolivien hat bei einer erfolgreichen Klage kaum etwas zu gewinnen: selbst wenn
der IGH zugunsten des Landes entscheiden sollte, hat sich Chile lediglich zu
weiteren Verhandlungen bereit zu erklären, muss Bolivien aber keinen souveränen
Meereszugang gewähren. Doch warum wird der hohe Aufwand betrieben, um ein
IGH-Verfahren in die Gänge zu leiten, dessen Urteil keine nennenswerten
Änderungen nach sich ziehen wird? Hinter der bolivianischen Klage wird innenpolitisches
Kalkül vermutet. Es ist durchaus im Sinne der Regierung nationalistische
Gefühle weiter zu schüren, um von den Missständen im Inland abzulenken. Im
Falle einer Zurückweisung der Klage, würde der Plan der bolivianischen
Regierung allerdings nicht aufgehen: die bedeutendste internationale
Rechtsprechungsinstanz würde die bolivianische Forderung nach einem souveränen
Küstenstreifen delegitimieren. Doch egal wie das Verfahren ausgeht: dass die
bolivianische Marine ihre Übungen in absehbarer Zeit auf der Hohen See
durchführen wird, bleibt eine Wunschvorstellung.
Dóra Simon ist Studentin im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit den Schwerpunkten Europäische Integration sowie Völkerstrafrecht.
Dienstag, 30. Dezember 2014
Weihnachten 2004 - Der Tsunami vom 26. Dezember und seine Folgen
Es war zwischen 9 und 10 Uhr morgens am
zweiten Weihnachtstag 2004, also vor ziemlich genau 10 Jahren, als
sich das Wasser hunderte Meter vom Strand der im Norden Sumatras gelegenen
Provinz Aceh zurückzog. Die Bilder des kurz darauf folgenden
Tsunamis, der insgesamt vermutlich bis zu 280.000 Menschenleben forderte und weitaus mehr Menschen zu Obdachlosen werden ließ, gingen damals
wie kürzlich zum 10. Jahrestag um die Welt.
Dieses Unglück verdeutlichte nicht nur
die Notwendigkeit eines Frühwarnsystems zum Schutz der Menschen vor
solchen Naturkatastrophen in derart gefährdeten Regionen. Es war auch ein Beispiel für etwas, das leider allzu oft unter den Teppich gekehrt wird: die humanitären Hilfsleistungen der Bundeswehr.
Tsunamis – ein physikalisches
Phänomen mit Tücke
Das Epizentrum des Seebebens vom 26. Dezember 2004... (Quelle: The University of Sydney) |
Tsunamis (japanisch, zusammengesetzt aus den Worten „große Welle“ und
„Hafen“) sind Riesenwellen, die aus vertikalen Bewegungen des
Meeresbodens, etwa Seebeben, Hangrutschen oder auch vulkanischen
Eruptionen, resultieren. Die zum Teil bis zu 30 Meter hohen Wellen
türmen sich allerdings erst in flacher werdenden Küstengewässern
auf, was sie für die Küstenbewohner besonders gefährlich macht.
Ist eine solche Riesenwelle in Sichtweite, bleibt den Menschen nur
wenig Zeit zu reagieren. Auf hoher See sind die sich mit bis zu 800
km/h (die Geschwindigkeit ist unter anderem abhängig von der
Wassertiefe) fortbewegenden Tsunamis kaum bemerkbar. Bereits der
japanische Name für dieses Phänomen deutet darauf hin, dass es vor
allem im pazifischen Raum vorkommt.
... und der Wirkungsbereich des darauf folgenden Tsunamis. (Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) |
Das Seebeben, welches dem Tsunami vom
26. Dezember 2004 vorausging, war eines der schwersten bisher gemessenen.
Die sich vom Epizentrum konzentrisch ausbreitenden und mitunter bis
zu 200 km langen Wellen erreichten die Küsten von Indien, Thailand,
Malaysia, Indonesien, Sri Lanka, der Malediven sowie Somalias und
Kenias.
Die Möglichkeiten eines
Frühwarnsystems
Mit dem Indischen Ozean war 2004 eine
Region betroffen, in der es, im Gegensatz zum pazifischen Raum, bis dato noch keine Frühwarnsysteme zur Tsunami-Erkennung
gab. Während Forscher am anderen Ende der Welt, nämlich im
Tsunami-Frühwarnzentrum von Hawaii (PTWC), dank ihrer Instrumente
bereits acht Minuten nach dem Seebeben über die drohende Gefahr Bescheid wussten,
war ein Großteil der Menschen in den konkret bedrohten Gebieten bis
zuletzt ahnungslos.
Aufgrund nicht vorhandener Informationsketten,
des Fehlens einer Übersicht über die jeweiligen Ansprechpartner
sowie unklarer Abläufe im Ernstfall versickerten die wahrscheinlich
lebensrettenden Informationen aus Hawaii irgendwo im Nirgendwo.
Als Konsequenz der Katastrophe von 2004
wurde im indonesischen Jakarta mit deutscher Hilfe ein Tsunami-Frühwarnzentrum aufgebaut,
das heute mithilfe eines Bojen-Systems im Indischen Ozean die Daten
sämtlicher Erdbeben in der Region aufzeichnet und gegebenenfalls
eine Tsunami-Warnung herausgibt. Diese soll dann spätestens 10-15
Minuten nach der ersten Aufzeichnung eines Bebens via Fernsehen und
Rundfunk sowie durch Imame von den Minaretten der Moscheen
verbreitet werden. In der Theorie sollen sich die Menschen dann auf
neu errichtete Schutztürme oder in höher gelegene Regionen
flüchten.
Funktionsweise des 2005/06 errichteten Frühwarnsystems "GITEWS". (Quelle: Deutsches Geoforschungszentrum) |
Am 26. Dezember 2004 dauerte es knapp eine halbe Stunde
bis die erste Welle die Küste der Region Aceh erreichte. Nach
heutigem Stand hätten die Menschen also knapp 15 Minuten gehabt, um
sich in Sicherheit zu bringen.
Die Bundeswehr im humanitären Hilfseinsatz
Bereits zwei Tage nach der Katastrophe
begann die Bundeswehr aktiv mit der humanitären Hilfe. Ein Airbus A310 MedEvac flog in den ersten Tagen nahezu pausenlos
verletzte Touristen zurück nach Deutschland und versorgte sie
bereits in der Luft medizinisch.
Ab dem 06. Januar 2005 begann der
Aufbau des mobilen Rettungszentrums des Sanitätsdienstes in der
Region Aceh, das nur wenige Tage später seine Arbeit aufnehmen
konnte. Die größte Gefahr drohte zu dem Zeitpunkt durch den
Ausbruch einer Seuche oder einer Epidemie, wie beispielsweise Malaria.
Schließlich waren die überfluteten Gebiete eine hervorragende
Brutstätte für Mücken, welche die Krankheit übertragen können.
Am 13. Januar traf schließlich der
Einsatzgruppenversorger (EGV) „Berlin“, der bereits am 30. Dezember
2004 aus der Operation „Enduring Freedom“ vor dem Horn von Afrika
herausgelöst wurde, vor Aceh ein. Das Schiff hatte ein
„Marineeinsatzrettungszentrum“ (MERZ) an Bord, in dem auch
kompliziertere Operationen sowie genauere medizinische Analysen
vorgenommen werden können.
Der EGV "Berlin" mit den Containern des MERZ (direkt unterhalb der Brücke) an Bord. (Quelle: Wikipedia) |
Insgesamt hat die Bundeswehr in ihrem
bis Mitte März 2005 andauernden und bis dato größten humanitären
Hilfseinsatz nicht nur dabei geholfen das General Hospital in der
Provinzhauptstadt Banda Aceh wieder aufzubauen, sondern auch 2311 Menschen
behandelt, 854 Patienten stationär aufgenommen, 196 Operationen
durchgeführt, 3429 Malaria-Impfungen und 89 MedEvac-Flüge
vorgenommen sowie Geräte und Medikamente im Wert von 2,7 Millionen
Euro aus ihren Beständen an die indonesischen Behörden übergeben.
Dass die Bundeswehr eben nicht nur in
bewaffneten Konflikten, sondern auch für derartige humanitäre Hilfsmissionen eingesetzt wird und in diesem Bereich einen wichtigen
Beitrag leistet, gerät leider immer wieder schnell in Vergessenheit.
Moritz
Müller ist Student im Masterstudiengang "Internationale Politik
und Internationales Recht" an der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Schwerpunkte sind
Außen- und (maritime) Sicherheitspolitik sowie völkerrechtliche
Themen.
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