Montag, 8. Dezember 2014

Maritime Sicherheitsolympiade

Sportliche Großveranstaltungen und sicherheits-politische Fragen gehören mittlerweile fest zusammen. Das gilt auch und gerade für die Olympischen Spiele. Der olympische Geist dient heute nicht mehr allein der Völkerverständigung, sondern ist auch ein begehrtes Werbeinstrument, insbesondere weil eine gewaltige und globale mediale Aufmerksamkeit garantiert ist. Wenn die ganze Welt hinsieht, ist dies immer auch eine günstige Gelegenheit für politische Gruppen ihre eigenen Botschaften an ein möglichst breit gestreutes Publikum zu bringen und dazu gehören heute leider auch Terroristen.

Deutschland musste dies 1972 leidvoll erfahren, als ein palästinensisches Terrorkommando eine Gruppe israelischer Olympioniken als Geiseln nahm und in der Folge elf Geiseln, ein Polizist und fünf Terroristen ihr Leben verloren. Auch wenn die Geschichte der Austragung Olympischer Spiele in Deutschland bisher kein Ruhmesblatt war (von den 1936 in Deutschland ausgetragenen Spielen ist in der kollektiven Erinnerung nicht viel mehr als Riefenstahl-Ästhetik übrig geblieben), will man 2024 einen neuen Versuch wagen.

2024 ist noch ein Jahrzehnt entfernt, dennoch muss man kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass auch hier das Thema Sicherheit eine zentrale Rolle spielen wird – gerade in Deutschland. Eine Katastrophe wie 1972 darf sich nicht noch einmal ereignen und man darf vermuten, dass eine deutsche Bewerbung vor allem auch in dieser Hinsicht auf den Prüfstand gestellt werden wird. 
Mit Sportereignissen von Weltformat hat man in Deutschland mittlerweile allerdings viel Erfahrung gesammelt. Das Sommermärchen der Fußball-WM 2006 läßt sich als eines der Beispiele dafür anführen, dass man in Deutschland phantastische und vor allem sichere Spiele durchführen kann. Viel Know-How lässt sich neben "König Fußball" auch aus den vielen anderen Sportveranstaltungen oder gesellschaftlichen Großereignissen ziehen, so dass Veranstaltungen mit mehreren 10.000 Zuschauern und Teilnehmern heute ein beherrschbares Problem darstellen. Beste Voraussetzungen also für die deutsche Olympia-Bewerbung?

Zugegeben, bei Veranstaltungen an Land hat man viel Erfahrung, viel Technik und im Bedarfsfall auch genug Personal, um im Rahmen der Verhältnisse sichere Spiele gewährleisten zu können.
Die Olympischen Spiele haben allerdings noch eine zweite Komponente, für die sich der Erfahrungsschatz eher in Grenzen hält. An die Bewerber Hamburg und Berlin haben sich auch Kiel, Lübeck und Rostock-Warnemünde zur Ausrichtung der Olympischen Segelwettbewerbe angehängt. Sie alle werben mit Ihrer langen Erfahrung bei großen Segelsportereignissen, doch die sind, was das Thema Sicherheit anbelangt, kaum mit den herkömmlichen sportlichen Großereignissen vergleichbar. Sicherlich ist die Kieler Woche sowohl das größte Volksfest Norddeutschlands als auch eines der größten Segelevents der Welt, aber beim Thema Sicherheit konzentriert man sich hier vor allem auf die Landseite.


49er vor Weymouth 2012 (Bildquelle: Wikimedia.org)

Das dürfte bei einer olympischen Veranstaltung allerdings anders aussehen. Denn hier wären vor allem auch die Teilnehmer selbst, also die Segler, ein gefährdetes Anschlagsziel, weil hier die Verknüpfung mit dem „Markenzeichen Olympia“ am größten wäre. Das musste man ja auch 1972 in München feststellen. Sicherlich führen die Olympischen Segelwettbewerbe eher ein Schattendasein was ihre öffentliche Wahrnehmung anbelangt – sind sie doch eher begrenzt publikumswirksam und damit höchstens ein Ausweichziel. Aber sie sind immer noch Teil der Gesamtolympiade, vor allem auch medial und weisen damit ebenfalls ein hohes Gefährdungspotential auf.
Wenn also die Hauptveranstaltungen an Land zu stark gesichert sind, könnte es Versuche geben, stattdessen die Segelwettbewerbe ins Ziel zu nehmen. Derartige Befürchtungen hat es auch 2012 bei den Olympischen Spielen in London, bzw. den Austragungsorten des Segelsports vor Weymouth gegeben – glücklicherweise ohne einen Anschlag. Dennoch waren die Sicherheitsvorkehrungen hier immens.
Das Problem der Spiele auf dem Wasser ist, dass es kaum vergleichbare Sportereignisse dieser Größe gibt. Es ist also gerade in dieser Hinsicht auch nur wenig Know-How vorhanden. Umso wichtiger ist es, alle vorhandenen Ressourcen zu mobilisieren. Das ist 2012 in London/Weymouth und 2008 in Peking/Qingdao vor allem dadurch geschehen, dass man den Polizeikräften eine starke Unterstützung seitens der jeweiligen Marine zur Seite gestellt hat. In und um Weymouth etwa unterstützen mehr als 1000 Angehörige der Streitkräfte die Polizei allein bei der Absicherung der Olympischen Segelregatten.

Die würden in Deutschland ebenfalls nicht auf hoher See stattfinden, sondern auf den bewährten Regattabahnen, die man auch für andere Segelereignisse nutzt – und die liegen direkt in den deutschen Küstengewässern. Ein Einsatz deutscher Streitkräfte im Inneren, auch im verfassungsrechtlich erlaubten Wege der Amtshilfe, ist hierzulande allerdings ein sehr heikles Thema. Kriegsschiffe bei der Kieler Woche sind ein willkommener Teil der Folklore, die Absicherung eines Großereignisses hat aber eine ganz andere Qualität und würde von der deutschen Öffentlichkeit auch ganz anders bewertet werden. Militär im Bereich der inneren Sicherheit löst ein in dieser Form sicher einmaliges nationales Unbehagen aus. Während die Stationierung des über 170 Meter langen amphibischen Landungsschiffes „Bulwark“ (u.a. als Kommandozentrale) vor der englischen Küste auch dem kollektiven Sicherheitsgefühl dienlich war, dürfte ein entsprechend sichtbares Aufgebot vor der deutschen Küste – diplomatisch gesprochen – einige kritische Diskussionen auslösen. Allerdings hat gerade im Bereich der maritimen Sicherheit die Deutsche Marine Fähigkeiten und Technologien, die den maritimen Polizeikräften aufgrund ihres alltäglichen Einsatzspektrums nicht oder nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, etwa was die Anzahl an nötigen Wasserfahrzeugen anbelangt.


HMS "Bulwark" (Bildquelle: Wikimedia.org)

Darüber hinaus stellt sich auch die Frage des personellen Aufwandes. Eine „Bereitschafts-polizei See“ gibt es nicht, sie wird im Alltag auch nicht gebraucht. Bei den Olympischen Spielen müssen zum einen Gefahren von See, etwa für Besucher-Areale, Hafenanlagen und Unterkünfte abgewehrt werden können, das zeigten etwa die Terrorangriffe auf Mumbai 2008. Andererseits muss aber auch die Sicherheit auf See, beispielsweise für die Teilnehmer auf den Regattabahnen, die Betreuer oder die Begleitschiffe mit Zuschauern gewährleistet sein. Erschwerend kommt hinzu, dass die Sportareale in allen Städten in der Nähe von Schifffahrtsstraßen liegen. Besonders Kiel ist mit der Zufahrt zum Nord-Ostsee-Kanal, der weltweit meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße, betroffen. Hier liegen die Wettkampf-Areale in direkter Nachbarschaft zum Fahrwasser. Denkbar sind nicht nur Unfälle aufgrund eines deutlich stärkeren Verkehrsaufkommens (Schaulustige aus aller Welt mit eigenen Booten), sondern im Extremfall auch ein Anschlag z.B. mit einem entführten Fracht- oder gar Tankschiff. Die Umsetzung eines solchen terroristischen Vorhabens ist zwar durch nachrichtendienstliche und polizeiliche Ermittlungen im Vorfeld, die Verkehrs-Überwachung oder die Lotsen-Pflicht eher unwahrscheinlich, aber auch nicht völlig unmöglich. Anschläge auf Hochhäuser mit Verkehrsflugzeugen hätte man am Vorabend des 11. Septembers 2001 auch noch für ausgeschlossen gehalten. 

In allen genannten Fällen kann die Marine der Polizei ergänzende Unterstützung leisten. Im Bereich der Seeraumüberwachung, mit Waffentauchern zur Erkennung und Beseitigung von Sprengsätzen unter Wasser oder mit Spezialkräften wie den Kampfschwimmern zur Befreiung entführter Schiffe (auch wenn dies verfassungsrechtlich sicher der heikelste Punkt wäre), um nur einige zu nennen.
Es zeigt sich also, dass sich gerade die deutschen Bewerber mit einer schweren Abwägung auseinandersetzen müssen. Wer den Olympischen Spielen in Deutschland die maximale Sicherheit garantieren will, der wird insbesondere für die Segelwettbewerbe nicht auf die Mithilfe der Marine verzichten können. Ein Debakel wie 1972 kann man sich auf keinen Fall erlauben. Im Gegenteil wird man bereits im Vorfeld klar stellen müssen, dass man gewillt ist, alles zu tun, um sichere Spiele zu gewährleisten.
Andererseits muss man für dieses Unterfangen die Bevölkerung rechtzeitig einbinden. Nicht nur, um die immensen finanziellen Kosten für die Sicherheit der Spiele zu rechtfertigen, sondern auch die politischen Kosten, die aus der Kritik an der Beteiligung der Bundeswehr erwachsen werden, selbst wenn dies im Wege der Amtshilfe passiert. Gerade hier müssen die Vorbehalte rechtzeitig und offen diskutiert werden, um den erforderlichen Spagat bewerkstelligen zu können und die Bevölkerung „mit ins Boot“ zu holen.

Den Traum von einer dritten Ausrichtung Olympischer Spiele in Deutschland können nicht nur Terroristen sprengen. Er kann auch dadurch scheitern, dass die Bevölkerung nicht gewillt ist, die finanziellen und politischen Kosten mitzutragen. Das ließ sich 2013 beim Bürgerentscheid zur Münchener Bewerbung für die Olympischen Winterspielen 2022 bereits anschaulich beobachten.



Knut Kollex studiert Politikwissenschaft, schleswig-holsteinische und nordeuropäische Geschichte an der CAU Kiel. Zu seinen Interessenschwerpunkten zählen - neben maritimen Themen - Fragen der Staatlichkeit und die Analyse politischer Risiken. 


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