Mittwoch, 31. Dezember 2014

UNCLOS und die USA – a never-ending story?

Auch wenn den Vereinigten Staaten ihre alleinige Seeherrschaft allmählich streitig gemacht wird und mit dem Aufstieg Chinas vom Anbruch des pazifischen Jahrhunderts gesprochen werden kann, sind die USA weiterhin eine Ordnungsmacht der Weltmeere. Seit Mitte der neunziger Jahre ist einer der Kernbestandteile der US-Politik im Südchinesischen Meer die Einhaltung des internationalen Rechts und insbesondere die Wahrung der Prinzipien des Seerechtsübereinkommens (UNCLOS). Das hört sich sehr vernünftig an, denn mit mittlerweile 166 Vertragsstaaten sollte man auch im Südchinesischen Meer nicht umhinkommen UNCLOS zu beachten. Wenn man sich die Liste der Vertragsparteien des Seerechtsübereinkommens anschaut, fühlt man sich bestätigt: alle Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres gehören dazu. Man kann sogar einen Schritt weitergehen und das Ostchinesische Meer, das heutzutage aufgrund von Inselstreitigkeiten zunehmend in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückt, unter die Lupe nehmen. Auch hier wurde UNCLOS von nahezu allen betroffenen Staaten ratifiziert. Doch ausgerechnet die USA, die die Wahrung der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens fordern, sind nicht auf der Liste der Vertragsparteien vorzufinden. Doch was hielt und hält die USA bis heute davon ab der Konvention beizutreten und welche Vor- und Nachteile könnten den Vereinigten Staaten aus einer Ratifikation erwachsen? 

Mehrere Anläufe zur Ratifikation
Die ursprüngliche Haupstorge der USA: eine Internationale
Meeresbodenbehörde zur Umverteilung maritimer Ressourcen
(Quelle:http://commons.wikimedia.org/)

Bereits gegen Ende der Vertragsverhandlungen zum Seerechtsübereinkommen zeichnete sich ab, dass die Vereinigten Staaten der Konvention in ihrer damaligen Form nicht zustimmen werden. Während der Großteil des Vertragstexts auf Völkergewohnheitsrecht fußt und folglich auch in den USA Akzeptanz findet, stießen die UNCLOS-Bestimmungen zum Tiefseebergbau auf Ablehnung. Inakzeptabel für die USA waren die Vorgaben zur Umverteilung der Gewinne aus dem Tiefseebergbau, die sich aus dem Status des Tiefseebodens als gemeinsames Erbe der Menschheit ableiten lassen. „The United States is deeply concerned about the grave dangers of legitimizing this socialist concept by signing the LOS Treaty.” Dass diese Redistribution der maritimen Ressourcen durch eine internationale Behörde als „inefficient international bureaucracy“ erfolgen sollte, sorgte für weiteren Unmut. Den fundamentalen Sorgen der USA begegnete man 1994 durch Vertragsänderungen. Diese veranlassten viele Industriestaaten, die ihre Zustimmung bisher aus ähnlichen Erwägungen verweigert hatten, zur Ratifikation von UNCLOS. Noch im selben Jahr legte Präsident Clinton die Konvention dem Senat vor. Trotz mehrerer Kongressanhörungen und der Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses des Senats scheiterte das Vorhaben. Seither wurden sowohl unter der Bush- als auch unter der Obama-Administration mehrere Anläufe unternommen, dem Seerechtsübereinkommen beizutreten. Obwohl es eine parteiübergreifende Unterstützung für das Vorhaben gibt, ist UNCLOS seit genau zwei Jahrzehnten vor dem Senat anhängig. Zuletzt wurde die Debatte 2012 wieder aufgegriffen, allerdings ohne Erfolg. Doch welche Einwände werden von den heutigen UNCLOS-Gegnern hervorgebracht, wenn die ursprünglichen Bedenken gegen die Konvention bereits durch die 1994-er Vertragsänderungen zerstreut wurden?

Vorteile und (vermeintliche) Nachteile eines UNCLOS-Beitritts

Auch die U.S. Marine befürwortet den Beitritt zu UNCLOS
(Quelle:http://commons.wikimedia.org/)
Bis heute wird gerne und oft der potentielle Souveränitätsverlust heraufbeschworen, den die USA aufgrund der weitreichenden Kompetenzen der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) erleiden würden. Dieser Einwand wird durch die 1994-er Vertragsänderung entkräftet, die den USA im Falle einer Ratifikation eine Vetoposition bei der ISA zusichert. Diese Diskussion dreht sich streng genommen gar nicht um das  Vertragsregime von UNCLOS, sondern widerspiegelt eher eine generelle Debatte in den USA, die zwischen den Souveränitätsanhängern und den Internationalisten geführt wird. Nach dem zweiten, etwas nebulösen Argument sollten die USA dem Seerechtsübereinkommen fernbleiben, da sie sich ungewollt an die in den vergangenen Jahren von China betriebene Interpretation des Übereinkommens binden würden. Jeder, der etwas von Völkergewohnheitsrecht versteht, wird wissen, dass eine einseitige Auslegung allein, ohne eine gängige Staatenpraxis und einer zusätzlichen Rechtsüberzeugung nichts bewirken kann. Selbst wenn dem so wäre, könnten die USA außerhalb des Konventionsrahmens herzlich wenig dagegen unternehmen. Abgesehen davon, dass die geäußerten Bedenken unbegründet zu sein scheinen, verkennen die UNCLOS-Gegner die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Vorteile eines Beitritts zur Konvention. Zwar beteuern sie, dass der Ressourcenabbau sowohl am erweiterten Festlandsockel als auch auf dem Tiefseeboden ohne UNCLOS-Beitritt möglich sei. Diese vermeintlichen Chancen werden jedoch aufgrund eines unsicheren Investitionsklimas nicht genutzt. Doch nicht nur die Wirtschaft beklagt bestehende Rechtsunsicherheiten, auch die Marine fordert aus denselben Gründen den Beitritt zur Konvention. Dieser Beitritt liegt gemäß dem Auswärtigen Ausschuss des Senats sogar „profoundly in the national interest“. In einem Sonderbericht des US-amerikanischen Think Tanks Council on Foreign Relations wird en Detail ausgeführt, warum diese Aussage durchaus der Realität entspricht. Auf der Hand liegt, dass die Forderung nach multilateralen Lösungsansätzen im pazifischen Raum, um die chinesische Seeherrschaft in Balance zu halten, durch das unilaterale Handeln der USA untergraben wird. Fakt ist des Weiteren, dass durch das Fernbleiben von UNCLOS die ohnehin brüchige Führungsrolle der USA im Pazifik von ihren Alliierten und strategischen Partnern noch stärker angezweifelt wird.  

Dóra Simon ist Studentin im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit den Schwerpunkten Europäische Integration sowie Völkerstrafrecht.

Die Rückkehr zum Meer – der ewige Konflikt Boliviens mit Chile um einen souveränen Meereszugang

   Ein Offizier der bolivianischen Marine (fuerza naval)
    (Quelle:https://www.flickr.com/photos/101436300@N08/9804349623) 
Alljährlich begeht die bolivianische Bevölkerung am 23. März den Tag des Meeres (día del mar) als Volksfest. Da der gesamte März im Zeichen des Meeres steht, werden die Bolivianer bereits zu Beginn des Meeresmonats auf die bevorstehenden Feierlichkeiten eingestimmt: die Zeitungen drucken regelmäßig Fotos von der Brandung ab, im Fernsehen werden Sondersendungen zu maritimen Themen ausgestrahlt und in den Schulen setzen die Lehrer die bedeutendsten Seeschlachten des Landes auf den Stundenplan. Das Kuriose an dieser Tradition? Neben Paraguay ist Bolivien als einziger Binnenstaat des amerikanischen Kontinents vom Meer abgeschnitten. So kommt es, dass die bolivianische Marine ihre Übungen nicht etwa auf der Hohen See, sondern 3800 Meter über dem Meeresspiegel auf dem Titicacasee durchführt. Hier bereitet sich die höchstgelegene Marine der Welt auf mögliche militärische Operationen vor und gewährleistet die Sicherheit auf dem See, durch den die Grenze Boliviens zu Peru verläuft. Auch in der Amazonasregion zeigt die bolivianische Marine Präsenz: ihre Hauptaufgabe ist die Unterbindung des Drogenschmuggels auf den Flüssen. Dass auch Binnenstaaten eine Marine haben, ist nicht weiter ungewöhnlich. Mehr als ein Dutzend Länder unterhalten trotz fehlenden Meereszugangs durchaus funktionsfähige Seestreitkräfte, die auf den Binnengewässern patrouillieren. Was den bolivianischen Binnenstaat jedoch von den anderen unterscheidet, ist der seit 131 Jahren ungebrochene und zum Teil offensiv verfolgte Wunsch den eigenen Küstenstreifen wiederzuerlangen.

Das nationale Trauma

     Bolivianischer Marinestützpunkt am Ufer des Titicacasees
     (Quelle:https://www.flickr.com/photos/peace-on-earth_org/3102173414)
Im Zuge des Salpeterkriegs (1879-1883) gegen Chile mussten Peru und Bolivien erhebliche Gebietsverluste hinnehmen. Bolivien verlor seine maritime Provinz Antafagosta und musste ein Territorium von ca. 120.000 Quadratkilometern mit einem 400 Kilometer langen Küstenstreifen an Chile abtreten. Der Friedensvertrag von 1904 legt den heutigen Grenzverlauf zwischen den beiden Ländern und die Bedingungen zur Mitbenutzung der chilenischen Häfen durch Bolivien fest. Trotz eines freien Zugangs zum Pazifik und zahlreicher Begünstigungen bei der Nutzung der Hafeninfrastruktur, pocht das Land bis heute auf einen souveränen Meereszugang. Laut Bolivien kam der Vertrag unter Zwang zustande und bedarf daher einer Totalrevision. Zu weiterem Missmut führte die Entdeckung gewaltiger Kupfervorkommen in der vormals bolivianischen Region, die Chile zum weltweit größten Kupferproduzenten machten und für seinen wirtschaftlichen Aufschwung Ausschlag gebend waren. Bolivien führt seine demgegenüber relative Unterentwicklung nicht etwa auf die instabilen politischen Verhältnisse und die Misswirtschaft im eigenen Land zurück, sondern auf den Verlust des Meereszugangs und der Rohstoffvorkommen der Provinz Antafagosta. Zwar unterhalten die beiden Länder – mit Ausnahme einer kurzen Annäherungsphase in den 70-er Jahren – aufgrund dieses Dauerkonflikts seit Jahrzehnten keine diplomatischen Beziehungen mehr zueinander. Kommunikation in Form von gegenseitigen Anschuldigungen stellt jedoch keine Seltenheit dar. Trotz wiederholter Zusicherungen seitens Chiles eine gemeinsame Lösung zu finden und Bolivien einen souveränen Meereszugang zu gewähren, hat sich bisher nichts Konkretes getan. 

Der Gang vor den IGH

Könnten bolivianische Marineübungen auf der Hohen See
bald Realität werden?
(Quelle:https://www.flickr.com/search?text=armada+boliviana)
Dass diesen Absichtserklärungen Chiles bisher keine Taten folgten, beanstandete Bolivien und zog 2013 vor den Internationalen Gerichtshof (IGH). Anders als beim Konflikt zwischen Chile und Peru geht es bei der bolivianischen Klage nicht um die Ziehung von Seegrenzen. Es wird auch keine Rückgabe des ehemaligen Küstenstreifens verlangt. Der IGH wurde von Bolivien dazu aufgefordert, eine Verpflichtung Chiles festzustellen nach „Treu und Glauben“ zu verhandeln und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Bolivien hat bei einer erfolgreichen Klage kaum etwas zu gewinnen: selbst wenn der IGH zugunsten des Landes entscheiden sollte, hat sich Chile lediglich zu weiteren Verhandlungen bereit zu erklären, muss Bolivien aber keinen souveränen Meereszugang gewähren. Doch warum wird der hohe Aufwand betrieben, um ein IGH-Verfahren in die Gänge zu leiten, dessen Urteil keine nennenswerten Änderungen nach sich ziehen wird? Hinter der bolivianischen Klage wird innenpolitisches Kalkül vermutet. Es ist durchaus im Sinne der Regierung nationalistische Gefühle weiter zu schüren, um von den Missständen im Inland abzulenken. Im Falle einer Zurückweisung der Klage, würde der Plan der bolivianischen Regierung allerdings nicht aufgehen: die bedeutendste internationale Rechtsprechungsinstanz würde die bolivianische Forderung nach einem souveränen Küstenstreifen delegitimieren. Doch egal wie das Verfahren ausgeht: dass die bolivianische Marine ihre Übungen in absehbarer Zeit auf der Hohen See durchführen wird, bleibt eine Wunschvorstellung.  


Dóra Simon ist Studentin im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit den Schwerpunkten Europäische Integration sowie Völkerstrafrecht.



Dienstag, 30. Dezember 2014

Weihnachten 2004 - Der Tsunami vom 26. Dezember und seine Folgen

Es war zwischen 9 und 10 Uhr morgens am zweiten Weihnachtstag 2004, also vor ziemlich genau 10 Jahren, als sich das Wasser hunderte Meter vom Strand der im Norden Sumatras gelegenen Provinz Aceh zurückzog. Die Bilder des kurz darauf folgenden Tsunamis, der insgesamt vermutlich bis zu 280.000 Menschenleben forderte und weitaus mehr Menschen zu Obdachlosen werden ließ, gingen damals wie kürzlich zum 10. Jahrestag um die Welt.
Dieses Unglück verdeutlichte nicht nur die Notwendigkeit eines Frühwarnsystems zum Schutz der Menschen vor solchen Naturkatastrophen in derart gefährdeten Regionen. Es war auch ein Beispiel für etwas, das leider allzu oft unter den Teppich gekehrt wird: die humanitären Hilfsleistungen der Bundeswehr.

Tsunamis – ein physikalisches Phänomen mit Tücke

Das Epizentrum des Seebebens vom 26. Dezember 2004...
(Quelle: The University of Sydney)
Tsunamis (japanisch, zusammengesetzt aus den Worten „große Welle“ und „Hafen“) sind Riesenwellen, die aus vertikalen Bewegungen des Meeresbodens, etwa Seebeben, Hangrutschen oder auch vulkanischen Eruptionen, resultieren. Die zum Teil bis zu 30 Meter hohen Wellen türmen sich allerdings erst in flacher werdenden Küstengewässern auf, was sie für die Küstenbewohner besonders gefährlich macht. Ist eine solche Riesenwelle in Sichtweite, bleibt den Menschen nur wenig Zeit zu reagieren. Auf hoher See sind die sich mit bis zu 800 km/h (die Geschwindigkeit ist unter anderem abhängig von der Wassertiefe) fortbewegenden Tsunamis kaum bemerkbar. Bereits der japanische Name für dieses Phänomen deutet darauf hin, dass es vor allem im pazifischen Raum vorkommt.

... und der Wirkungsbereich des darauf folgenden Tsunamis.
(Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe)
Das Seebeben, welches dem Tsunami vom 26. Dezember 2004 vorausging, war eines der schwersten bisher gemessenen. Die sich vom Epizentrum konzentrisch ausbreitenden und mitunter bis zu 200 km langen Wellen erreichten die Küsten von Indien, Thailand, Malaysia, Indonesien, Sri Lanka, der Malediven sowie Somalias und Kenias.






Die Möglichkeiten eines Frühwarnsystems

Mit dem Indischen Ozean war 2004 eine Region betroffen, in der es, im Gegensatz zum pazifischen Raum, bis dato noch keine Frühwarnsysteme zur Tsunami-Erkennung gab. Während Forscher am anderen Ende der Welt, nämlich im Tsunami-Frühwarnzentrum von Hawaii (PTWC), dank ihrer Instrumente bereits acht Minuten nach dem Seebeben über die drohende Gefahr Bescheid wussten, war ein Großteil der Menschen in den konkret bedrohten Gebieten bis zuletzt ahnungslos. 
Aufgrund nicht vorhandener Informationsketten, des Fehlens einer Übersicht über die jeweiligen Ansprechpartner sowie unklarer Abläufe im Ernstfall versickerten die wahrscheinlich lebensrettenden Informationen aus Hawaii irgendwo im Nirgendwo.

Als Konsequenz der Katastrophe von 2004 wurde im indonesischen Jakarta mit deutscher Hilfe ein Tsunami-Frühwarnzentrum aufgebaut, das heute mithilfe eines Bojen-Systems im Indischen Ozean die Daten sämtlicher Erdbeben in der Region aufzeichnet und gegebenenfalls eine Tsunami-Warnung herausgibt. Diese soll dann spätestens 10-15 Minuten nach der ersten Aufzeichnung eines Bebens via Fernsehen und Rundfunk sowie durch Imame von den Minaretten der Moscheen verbreitet werden. In der Theorie sollen sich die Menschen dann auf neu errichtete Schutztürme oder in höher gelegene Regionen flüchten. 

Funktionsweise des 2005/06 errichteten Frühwarnsystems "GITEWS".
(Quelle: Deutsches Geoforschungszentrum

Am 26. Dezember 2004 dauerte es knapp eine halbe Stunde bis die erste Welle die Küste der Region Aceh erreichte. Nach heutigem Stand hätten die Menschen also knapp 15 Minuten gehabt, um sich in Sicherheit zu bringen.

Die Bundeswehr im humanitären Hilfseinsatz

Bereits zwei Tage nach der Katastrophe begann die Bundeswehr aktiv mit der humanitären Hilfe. Ein Airbus A310 MedEvac flog in den ersten Tagen nahezu pausenlos verletzte Touristen zurück nach Deutschland und versorgte sie bereits in der Luft medizinisch.
Ab dem 06. Januar 2005 begann der Aufbau des mobilen Rettungszentrums des Sanitätsdienstes in der Region Aceh, das nur wenige Tage später seine Arbeit aufnehmen konnte. Die größte Gefahr drohte zu dem Zeitpunkt durch den Ausbruch einer Seuche oder einer Epidemie, wie beispielsweise Malaria. Schließlich waren die überfluteten Gebiete eine hervorragende Brutstätte für Mücken, welche die Krankheit übertragen können.

Am 13. Januar traf schließlich der Einsatzgruppenversorger (EGV) „Berlin“, der bereits am 30. Dezember 2004 aus der Operation „Enduring Freedom“ vor dem Horn von Afrika herausgelöst wurde, vor Aceh ein. Das Schiff hatte ein „Marineeinsatzrettungszentrum“ (MERZ) an Bord, in dem auch kompliziertere Operationen sowie genauere medizinische Analysen vorgenommen werden können.

Der EGV "Berlin" mit den Containern des MERZ (direkt unterhalb der Brücke) an Bord.
(Quelle: Wikipedia)

Insgesamt hat die Bundeswehr in ihrem bis Mitte März 2005 andauernden und bis dato größten humanitären Hilfseinsatz nicht nur dabei geholfen das General Hospital in der Provinzhauptstadt Banda Aceh wieder aufzubauen, sondern auch 2311 Menschen behandelt, 854 Patienten stationär aufgenommen, 196 Operationen durchgeführt, 3429 Malaria-Impfungen und 89 MedEvac-Flüge vorgenommen sowie Geräte und Medikamente im Wert von 2,7 Millionen Euro aus ihren Beständen an die indonesischen Behörden übergeben.

Dass die Bundeswehr eben nicht nur in bewaffneten Konflikten, sondern auch für derartige humanitäre Hilfsmissionen eingesetzt wird und in diesem Bereich einen wichtigen Beitrag leistet, gerät leider immer wieder schnell in Vergessenheit.



Moritz Müller ist Student im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Schwerpunkte sind Außen- und (maritime) Sicherheitspolitik sowie völkerrechtliche Themen.

Montag, 29. Dezember 2014

DEUTSCHE FLAGGE FÜHRT VOR DEUTSCHE GERICHTE – Probleme mit der Jurisdiktion über somalische Piraten





Einer der in Hamburg verurteilten Somalier begleitet durch die niederländische Marine [Quelle: Ministerie van Defensie]
Im Oktober 2012 schlug die Verurteilung von zehn somalischen Piraten durch das Landgericht Hamburg nach mehr als 100 Verhandlungstagen hohe Wellen. Nach einem unerwartet zähen Verfahren verhängte das Gericht Haftstrafen zwischen sieben und zwei Jahren über die Männer, die im April 2010 das  Containerschiff „Taipan“ und seine 15 köpfige Besatzung überfallen hatten. "Wir maßen uns hier an, Recht zu sprechen nach unseren deutschen Vorstellungen über Menschen, deren Lebenssituation wir nicht mal annähernd nachvollziehen können", erklärte einer der beteiligten Strafverteidiger. Dennoch verurteilte im April 2014 auch das Landgericht Osnabrück einen 44 Jährigen wegen Beteiligung an der Entführung eines Chemietankers im Mai 2010. Die deutsche Justiz scheint sich also keineswegs mit der Logik einverstanden zu erklären, dass vor dem Hintergrund des failed-state Somalia im Golf von Aden effektive Straffreiheit für brutale Übergriffe auf deutsche Handelsschiffe herrscht. 
Trotz allem spricht vieles gegen die Verhandlung von Pirateriefällen, die sich in mehr als 5.000 km Entfernung ereignet haben, vor deutschen Gerichten. Deutschland ist nicht zuletzt auch deswegen zurückhaltend bei der Annahme der Verfahren, weil es die Einreise somalischer Krimineller ansonsten streng zu verhindern sucht. Dass man sich mit diesem Bemühen in bester Gesellschaft befindet, macht auch der Vorschlag des UN-Sonderberichterstatters Jack Lang deutlich, der für die schnellstmögliche „Somalisierung“ der Strafverfolgung plädiert. Nötig seien Investitionen in das somalische Rechtssystem zur Errichtung von drei spezialisierten Gerichten in Somaliland, Puntland und in Arusha sowie in drei Gefängnissen. Investitionen, die angesichts des desolaten Zustandes des Staates nicht zu Unrecht als riskant beurteilt werden. Die militärische Absicherung des Gebiets, unter anderem durch die EU-Operation ATALANTA, scheint zumindest kurzfristig wirkungsvoller zu sein. So gab es in diesem Jahr nur drei Piratenangriffe in der Region. 
 
Die Frage danach, wie mit aufgegriffenen Verdächtigen zu verfahren ist, kann militärisch allerdings nicht beantwortet werden. Solange Somalia die entsprechenden Strukturen fehlen, verlassen die EU und ihre Mitgliedsstaaten sich deswegen auf bilaterale Abmachungen und Auslieferungsabkommen mit Kenia, Mauritius und den Seychellen. Rückführungsabkommen wurden außerdem auch mit Somaliland und Puntland geschlossen. Durch diese könnten verurteilte Piraten theoretisch nach Somalia rückgeführt werden. Dem dürfte jedoch regelmäßig ein Anspruch auf Asyl nach Haftverbüßung entgegenstehen.
Dass jedoch auch die Auslieferung an afrikanische Staaten im Rahmen eines Rechtshilfeabkommens keineswegs unproblematisch ist, macht eine Entscheidung des OVG NRW in Münster deutlich. Die Übergabe eines somalischen Verdächtigen an die kenianische Justiz sei demnach unter anderem menschenrechtswidrig gewesen. Zwar habe Kenia in einem inoffiziellen Brief die menschenwürdige Inhaftierung zugesichert. Aufgrund verschiedener Botschaftsberichte hätte jedoch trotzdem klar sein müssen, dass der Gefangene in Kenia unter den typischen Haftbedingungen, die von katastrophalen hygienischen Verhältnissen sowie schlechter Wasser- und Nahrungsversorgung geprägt waren, zu leiden haben würde. Die Übernahme der deutschen Jurisdiktion durch Kenia – ein „Freundschaftsdienst“, den Kenia sich unter anderem auch von den USA und Großbritannien gut bezahlen lässt – dürften die Richter dadurch wohl vorerst beendet haben. 

Nichtsdestoweniger muss zur Lösung des Piraterieproblems eine effektive Strafverfolgung gewehrleistet werden. Das regelmäßige Abhalten von Verfahren nach dem Vorbild des Hamburgs Landgerichts, welches nicht weniger als 20 Verteidiger, 3 Dolmetscher, 2 Schöffen, 3 Richter und 2 Staatsanwälte im Wert von insgesamt mehr als einer Millionen Euro beschäftigte, kann dabei wohl kaum zielführend sein. Schließlich dürften die Wahrnehmung und somit auch die Abschreckungswirkung solcher Verfahren in der betreffenden Region entsprechend gering sein. Die Lösung kann deshalb nur in der „Somalisierung“ der Strafverfolgung liegen. Die 25 Vorschläge von Lang liefert hierfür einen ersten Entwurf, der sich mit geschätzten Kosten von weniger als 25 Millionen US-Dollar sogar als relativ günstig erweisen würde.
Das Problem der organisierten Kriminalität, über die insbesondere Hintermänner in Staaten wie Großbritannien und Kanada maßgeblich an der somalischen Piraterie beteiligt sind, dürfte damit jedoch kaum zu lösen sein. Hier stellt sich hoch entwickelten Rechtssystemen eine Aufgabe, in welche ihre Kapazitäten möglicherweise effektiver investiert wären.


Simone Ludewig ist Studentin im Fach "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Theorien des Internationalen Rechts und Themen des europäischen Menschenrechtsschutzes.

Autobahn im Vorgarten


Umfassender Ansatz oder Minimalkonsens? Quelle: http://www.imo.org/MediaCentre/HotTopics/polar/Pages/default.aspx


Im November 2014 hat die International Maritime Organisation (IMO) den "Code for Ships Operating in Polar Waters", den sog. Polar Code veröffentlicht. Die IMO reagiert damit auf den stetigen Rückgang des arktischen Packeises und der damit einhergehenden Öffnung der nordpolaren Seewege. Eine Bestandsaufnahme.


Der Polar Code ist das Ergebnis eines langjährigen Prozesses zur Regulierung maritimer Fragen in polaren Bereichen. Ziel des IMO-Prozesses ist es, verbindliche Richtlinien für die maritime wirtschaftliche Nutzung der durch den Klimawandel freigelegten Seegebiete aufzustellen. Normativ trägt die IMO damit zur kontinuierlichen Fortentwicklung des Seerechts bei, indem sie aktuellen Fragen und Herausforderungen mit völkerrechtlichen Konzepten begegnet. Doch wie steht es um die tatsächliche Wirkungskraft des Polar-Codes? Und was bedeutet die Öffnung der Nordrouten für Handel und Sicherheit auf See?

Wasserstraßen durch das Packeis

Die rechtliche Grundlage für ein Abkommen wie den Polar Code bildet die United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS). Hinter dem 1994 in Kraft getretenen Vertragswerk verbirgt sich das, was gemeinhin als internationales Seerecht bezeichnet wird. 162 Staaten haben das Abkommen bisher unterzeichnet; bisweilen der Ratifizierung ablehnend gegenüberstehende Staaten, wie etwa die USA, erkennen die in UNCLOS verankerten Grundsätze als Völkergewohnheitsrecht an. UNCLOS steht somit als Rechtsgrundlage für die Regulierung eines globalen Gemeinguts in einem direkten Zusammenhang mit den Belangen der Polregionen. Artikel 234 UNCLOS gibt den Vertragsstaaten dazu folgenden Anreiz zur regionalen Kooperation: 

„Coastal states have the right to adopt and enforce non-discriminatory laws and regulations for the prevention reduction and control of marine pollution from vessels in ice-covered areas within the limits of the exclusive economic zone..."

Die Öffnung der nördlichen Routen ist mit enormen wirtschaftlichen Interessen verbunden. Nicht nur, dass unter dem Packeis des Nordpols große Ressourcenvorkommen vermutet werden, vielmehr könnten die Seewege des Nordpolarmeeres neue, kürzere Routen für den internationalen Handel erschließen, welche signifikante Zeit- und Kostenvorteile mit sich bringen würden. Nachfolgende Grafik verdeutlicht skizzenhaft den Vorteil einer nördlichen Passage gegenüber herkömmlichen Handelswegen.

Die nördlichen Routen im Vergleich zu herkömmlichen Seewegen. Quelle: http://www.imo.org/MediaCentre/HotTopics/polar/Documents/Arctic2014/4.%20Dr.%20H.%20Deggim.pdf

Klimawandel als Herausforderung für das Seerecht

Die Erschließung dieser neuen Seewege ist jedoch nicht unproblematisch: Es bedarf erheblicher technischer Modifikationen der Handelsschiffe, um Packeisgebiete auch unter schwierigsten Bedingungen sicher befahren zu können.  Der Polar Code soll diesbezüglich verbindliche Vorgaben machen, mit dem Ziel einheitliche Sicherheits- und Baustandards zu formulieren. 
Kritische Stimmen, wie sie etwa durch den international agierenden Naturschutzbund „Seas at Risk“ artikuliert werden, bemängeln, dass der Polar Code zu geringe Umweltstandards aufweist. Der besonderen Sensibilität der Region werde somit kaum Rechnung getragen. In einem Kommuniqué vom 21. November 2014 heißt es: 

„While the new code is a positive step forward- for the first time there will be mandatory rules for management of shipping in Arctic and Antarctic polar waters – it is insufficient to properly protect Polar environments from the increased levels of shipping activity that are anticipated as sea ice recedes in the face of global warming.“  

So würde laut "Seas at Risk" der Polar Code unter anderem kein Nutzungsverbot von Heavy Fuel Oil (HFO), also fossilem Schweröl zur Verwendung als Treibstoff beinhalten. Eine Heavy Fuel-Ölpest hätte verheerende Folgen für das fragile Gleichgewicht des polaren Ökosystems. 
Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die IMO von einem HFO-Verbot im Polar Code absieht, zumal sich ein ähnlicher Mechanismus in einem IMO-Zusatzprotokoll zum Internationalen Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL) findet.

Capacity Building als weiterführender Ansatz

Um die Frage nach der Wirkungskraft des Polar Codes beantworten zu können ist grundsätzlich festzuhalten, dass gemäß des Prinzips der freiwilligen Selbstbindung von Vertragsparteien auf völkerrechtlicher Basis der Polar Code den Charakter eines Minimalkonsenses aufweist. Die relevanten Vertragsparteien haben zunächst den Willen bekundet, sich einer gemeinsamen Problemstellung anzunehmen. Ein Minimalkonsens ist auf völkerrechtlicher Basis also häufig besser als nichts. Ein solcher Konsens kann durchaus ein Fundament für weiterführende (Rechts)Standards bilden, vorausgesetzt, die Vertragsparteien sehen ein gemeinsames Ziel zu ihrem eigenen Nutzen dass zu erreichen durch fortlaufende Interaktion bestrebt wird. 
Es bleibt folglich abzuwarten, wie die internationale Schifffahrt in Zukunft auf die Öffnung der Nordrouten reagiert, und welche Rolle dabei der Polar Code einnehmen wird. Auch wenn gemäß "Artics-Database"  bereits heute ein Anstieg der Passagen des Nordpolarmeeres zu verzeichnen ist, bleibt dennoch abzuwarten, in wie weit sich das Polareis zukünftig weiter zurückbilden wird, um eine nachhaltige Schifffahrt dauerhaft zu ermöglichen. Einrichtungen, wie das norwegische "Centre for High North Logistics" können diesbezüglich jedoch als Indikator dafür verstanden werden, dass für die relevanten Akteure und Anrainer die Ob-Frage bereits hinfällig ist.

Bald dauerhaft Eisfrei? Quelle: http://www.arctic-lio.com/nsr_ice


Bendix Hügelmann, B.A., ist Student im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, sowie Mitarbeiter am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Seine Studien- und Forschungsschwerpunkte bilden  politische Ökonomie, Globalisierungs- und Nachhaltigkeitsstudien sowie Seerecht und Maritime Sicherheit.