Mittwoch, 31. Dezember 2014

Die Rückkehr zum Meer – der ewige Konflikt Boliviens mit Chile um einen souveränen Meereszugang

   Ein Offizier der bolivianischen Marine (fuerza naval)
    (Quelle:https://www.flickr.com/photos/101436300@N08/9804349623) 
Alljährlich begeht die bolivianische Bevölkerung am 23. März den Tag des Meeres (día del mar) als Volksfest. Da der gesamte März im Zeichen des Meeres steht, werden die Bolivianer bereits zu Beginn des Meeresmonats auf die bevorstehenden Feierlichkeiten eingestimmt: die Zeitungen drucken regelmäßig Fotos von der Brandung ab, im Fernsehen werden Sondersendungen zu maritimen Themen ausgestrahlt und in den Schulen setzen die Lehrer die bedeutendsten Seeschlachten des Landes auf den Stundenplan. Das Kuriose an dieser Tradition? Neben Paraguay ist Bolivien als einziger Binnenstaat des amerikanischen Kontinents vom Meer abgeschnitten. So kommt es, dass die bolivianische Marine ihre Übungen nicht etwa auf der Hohen See, sondern 3800 Meter über dem Meeresspiegel auf dem Titicacasee durchführt. Hier bereitet sich die höchstgelegene Marine der Welt auf mögliche militärische Operationen vor und gewährleistet die Sicherheit auf dem See, durch den die Grenze Boliviens zu Peru verläuft. Auch in der Amazonasregion zeigt die bolivianische Marine Präsenz: ihre Hauptaufgabe ist die Unterbindung des Drogenschmuggels auf den Flüssen. Dass auch Binnenstaaten eine Marine haben, ist nicht weiter ungewöhnlich. Mehr als ein Dutzend Länder unterhalten trotz fehlenden Meereszugangs durchaus funktionsfähige Seestreitkräfte, die auf den Binnengewässern patrouillieren. Was den bolivianischen Binnenstaat jedoch von den anderen unterscheidet, ist der seit 131 Jahren ungebrochene und zum Teil offensiv verfolgte Wunsch den eigenen Küstenstreifen wiederzuerlangen.

Das nationale Trauma

     Bolivianischer Marinestützpunkt am Ufer des Titicacasees
     (Quelle:https://www.flickr.com/photos/peace-on-earth_org/3102173414)
Im Zuge des Salpeterkriegs (1879-1883) gegen Chile mussten Peru und Bolivien erhebliche Gebietsverluste hinnehmen. Bolivien verlor seine maritime Provinz Antafagosta und musste ein Territorium von ca. 120.000 Quadratkilometern mit einem 400 Kilometer langen Küstenstreifen an Chile abtreten. Der Friedensvertrag von 1904 legt den heutigen Grenzverlauf zwischen den beiden Ländern und die Bedingungen zur Mitbenutzung der chilenischen Häfen durch Bolivien fest. Trotz eines freien Zugangs zum Pazifik und zahlreicher Begünstigungen bei der Nutzung der Hafeninfrastruktur, pocht das Land bis heute auf einen souveränen Meereszugang. Laut Bolivien kam der Vertrag unter Zwang zustande und bedarf daher einer Totalrevision. Zu weiterem Missmut führte die Entdeckung gewaltiger Kupfervorkommen in der vormals bolivianischen Region, die Chile zum weltweit größten Kupferproduzenten machten und für seinen wirtschaftlichen Aufschwung Ausschlag gebend waren. Bolivien führt seine demgegenüber relative Unterentwicklung nicht etwa auf die instabilen politischen Verhältnisse und die Misswirtschaft im eigenen Land zurück, sondern auf den Verlust des Meereszugangs und der Rohstoffvorkommen der Provinz Antafagosta. Zwar unterhalten die beiden Länder – mit Ausnahme einer kurzen Annäherungsphase in den 70-er Jahren – aufgrund dieses Dauerkonflikts seit Jahrzehnten keine diplomatischen Beziehungen mehr zueinander. Kommunikation in Form von gegenseitigen Anschuldigungen stellt jedoch keine Seltenheit dar. Trotz wiederholter Zusicherungen seitens Chiles eine gemeinsame Lösung zu finden und Bolivien einen souveränen Meereszugang zu gewähren, hat sich bisher nichts Konkretes getan. 

Der Gang vor den IGH

Könnten bolivianische Marineübungen auf der Hohen See
bald Realität werden?
(Quelle:https://www.flickr.com/search?text=armada+boliviana)
Dass diesen Absichtserklärungen Chiles bisher keine Taten folgten, beanstandete Bolivien und zog 2013 vor den Internationalen Gerichtshof (IGH). Anders als beim Konflikt zwischen Chile und Peru geht es bei der bolivianischen Klage nicht um die Ziehung von Seegrenzen. Es wird auch keine Rückgabe des ehemaligen Küstenstreifens verlangt. Der IGH wurde von Bolivien dazu aufgefordert, eine Verpflichtung Chiles festzustellen nach „Treu und Glauben“ zu verhandeln und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Bolivien hat bei einer erfolgreichen Klage kaum etwas zu gewinnen: selbst wenn der IGH zugunsten des Landes entscheiden sollte, hat sich Chile lediglich zu weiteren Verhandlungen bereit zu erklären, muss Bolivien aber keinen souveränen Meereszugang gewähren. Doch warum wird der hohe Aufwand betrieben, um ein IGH-Verfahren in die Gänge zu leiten, dessen Urteil keine nennenswerten Änderungen nach sich ziehen wird? Hinter der bolivianischen Klage wird innenpolitisches Kalkül vermutet. Es ist durchaus im Sinne der Regierung nationalistische Gefühle weiter zu schüren, um von den Missständen im Inland abzulenken. Im Falle einer Zurückweisung der Klage, würde der Plan der bolivianischen Regierung allerdings nicht aufgehen: die bedeutendste internationale Rechtsprechungsinstanz würde die bolivianische Forderung nach einem souveränen Küstenstreifen delegitimieren. Doch egal wie das Verfahren ausgeht: dass die bolivianische Marine ihre Übungen in absehbarer Zeit auf der Hohen See durchführen wird, bleibt eine Wunschvorstellung.  


Dóra Simon ist Studentin im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit den Schwerpunkten Europäische Integration sowie Völkerstrafrecht.



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