Montag, 29. Dezember 2014

Autobahn im Vorgarten


Umfassender Ansatz oder Minimalkonsens? Quelle: http://www.imo.org/MediaCentre/HotTopics/polar/Pages/default.aspx


Im November 2014 hat die International Maritime Organisation (IMO) den "Code for Ships Operating in Polar Waters", den sog. Polar Code veröffentlicht. Die IMO reagiert damit auf den stetigen Rückgang des arktischen Packeises und der damit einhergehenden Öffnung der nordpolaren Seewege. Eine Bestandsaufnahme.


Der Polar Code ist das Ergebnis eines langjährigen Prozesses zur Regulierung maritimer Fragen in polaren Bereichen. Ziel des IMO-Prozesses ist es, verbindliche Richtlinien für die maritime wirtschaftliche Nutzung der durch den Klimawandel freigelegten Seegebiete aufzustellen. Normativ trägt die IMO damit zur kontinuierlichen Fortentwicklung des Seerechts bei, indem sie aktuellen Fragen und Herausforderungen mit völkerrechtlichen Konzepten begegnet. Doch wie steht es um die tatsächliche Wirkungskraft des Polar-Codes? Und was bedeutet die Öffnung der Nordrouten für Handel und Sicherheit auf See?

Wasserstraßen durch das Packeis

Die rechtliche Grundlage für ein Abkommen wie den Polar Code bildet die United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS). Hinter dem 1994 in Kraft getretenen Vertragswerk verbirgt sich das, was gemeinhin als internationales Seerecht bezeichnet wird. 162 Staaten haben das Abkommen bisher unterzeichnet; bisweilen der Ratifizierung ablehnend gegenüberstehende Staaten, wie etwa die USA, erkennen die in UNCLOS verankerten Grundsätze als Völkergewohnheitsrecht an. UNCLOS steht somit als Rechtsgrundlage für die Regulierung eines globalen Gemeinguts in einem direkten Zusammenhang mit den Belangen der Polregionen. Artikel 234 UNCLOS gibt den Vertragsstaaten dazu folgenden Anreiz zur regionalen Kooperation: 

„Coastal states have the right to adopt and enforce non-discriminatory laws and regulations for the prevention reduction and control of marine pollution from vessels in ice-covered areas within the limits of the exclusive economic zone..."

Die Öffnung der nördlichen Routen ist mit enormen wirtschaftlichen Interessen verbunden. Nicht nur, dass unter dem Packeis des Nordpols große Ressourcenvorkommen vermutet werden, vielmehr könnten die Seewege des Nordpolarmeeres neue, kürzere Routen für den internationalen Handel erschließen, welche signifikante Zeit- und Kostenvorteile mit sich bringen würden. Nachfolgende Grafik verdeutlicht skizzenhaft den Vorteil einer nördlichen Passage gegenüber herkömmlichen Handelswegen.

Die nördlichen Routen im Vergleich zu herkömmlichen Seewegen. Quelle: http://www.imo.org/MediaCentre/HotTopics/polar/Documents/Arctic2014/4.%20Dr.%20H.%20Deggim.pdf

Klimawandel als Herausforderung für das Seerecht

Die Erschließung dieser neuen Seewege ist jedoch nicht unproblematisch: Es bedarf erheblicher technischer Modifikationen der Handelsschiffe, um Packeisgebiete auch unter schwierigsten Bedingungen sicher befahren zu können.  Der Polar Code soll diesbezüglich verbindliche Vorgaben machen, mit dem Ziel einheitliche Sicherheits- und Baustandards zu formulieren. 
Kritische Stimmen, wie sie etwa durch den international agierenden Naturschutzbund „Seas at Risk“ artikuliert werden, bemängeln, dass der Polar Code zu geringe Umweltstandards aufweist. Der besonderen Sensibilität der Region werde somit kaum Rechnung getragen. In einem Kommuniqué vom 21. November 2014 heißt es: 

„While the new code is a positive step forward- for the first time there will be mandatory rules for management of shipping in Arctic and Antarctic polar waters – it is insufficient to properly protect Polar environments from the increased levels of shipping activity that are anticipated as sea ice recedes in the face of global warming.“  

So würde laut "Seas at Risk" der Polar Code unter anderem kein Nutzungsverbot von Heavy Fuel Oil (HFO), also fossilem Schweröl zur Verwendung als Treibstoff beinhalten. Eine Heavy Fuel-Ölpest hätte verheerende Folgen für das fragile Gleichgewicht des polaren Ökosystems. 
Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die IMO von einem HFO-Verbot im Polar Code absieht, zumal sich ein ähnlicher Mechanismus in einem IMO-Zusatzprotokoll zum Internationalen Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL) findet.

Capacity Building als weiterführender Ansatz

Um die Frage nach der Wirkungskraft des Polar Codes beantworten zu können ist grundsätzlich festzuhalten, dass gemäß des Prinzips der freiwilligen Selbstbindung von Vertragsparteien auf völkerrechtlicher Basis der Polar Code den Charakter eines Minimalkonsenses aufweist. Die relevanten Vertragsparteien haben zunächst den Willen bekundet, sich einer gemeinsamen Problemstellung anzunehmen. Ein Minimalkonsens ist auf völkerrechtlicher Basis also häufig besser als nichts. Ein solcher Konsens kann durchaus ein Fundament für weiterführende (Rechts)Standards bilden, vorausgesetzt, die Vertragsparteien sehen ein gemeinsames Ziel zu ihrem eigenen Nutzen dass zu erreichen durch fortlaufende Interaktion bestrebt wird. 
Es bleibt folglich abzuwarten, wie die internationale Schifffahrt in Zukunft auf die Öffnung der Nordrouten reagiert, und welche Rolle dabei der Polar Code einnehmen wird. Auch wenn gemäß "Artics-Database"  bereits heute ein Anstieg der Passagen des Nordpolarmeeres zu verzeichnen ist, bleibt dennoch abzuwarten, in wie weit sich das Polareis zukünftig weiter zurückbilden wird, um eine nachhaltige Schifffahrt dauerhaft zu ermöglichen. Einrichtungen, wie das norwegische "Centre for High North Logistics" können diesbezüglich jedoch als Indikator dafür verstanden werden, dass für die relevanten Akteure und Anrainer die Ob-Frage bereits hinfällig ist.

Bald dauerhaft Eisfrei? Quelle: http://www.arctic-lio.com/nsr_ice


Bendix Hügelmann, B.A., ist Student im Masterstudiengang "Internationale Politik und Internationales Recht" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, sowie Mitarbeiter am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Seine Studien- und Forschungsschwerpunkte bilden  politische Ökonomie, Globalisierungs- und Nachhaltigkeitsstudien sowie Seerecht und Maritime Sicherheit. 

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